Fachwissen

Diagnostik und Therapie in der Kindergynäkologie

aus korasion Nr. 4, Dezember 2000

Prof. Dr. med. Isolde Wachter, Universitäts-Frauenklinik Dresden

Nach dem Referat anlässlich der Einweihung der Universitäts-Frauenklinik Essen.

Gynäkologische Erkrankungen in der Kindheit unterscheiden sich wesentlich von denen, die typischerweise im Jugend- und Erwachsenenalter auftreten. In der hormonellen Ruheperiode sind es krankhafte Befunde oder Abnormitäten an Vulva, Hymen und Vestibulum vaginae, weswegen behandelt werden muss bzw. die im Hinblick auf das spätere Sexualleben bewertet werden müssen. Mädchen in der Pubertät suchen hingegen ärztlichen Rat wegen Blutungsunregelmäßigkeiten oder perimenstrueller Befindlichkeitsstörungen, andere wünschen eine umfassende Kontrazeptions- und Sexualberatung.

Gynäkologisch problematische Erkrankungen im Kindesalter

Genitale Fehlbildungen werden meistens erst in der Pubertät diagnostiziert: Bleibt die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale aus, muss man annehmen, dass funktionsuntüchtige Gonaden angelegt sind. Bei zeitgerechter Entwicklung von Mammae und Pubes in Kombination mit einer primären Amenorrhoe ist der Anlagedefekt hingegen im Bereich der Uterovaginalanlage zu suchen. Differentialdiagnostisch muss aber immer auch dann an das Vorliegen einer genitalen Fehlbildung gedacht werden, wenn sich junge Mädchen mit unklaren Unterbauchschmerzen vorstellen.

Bei Pubertas praecox und den verschiedenen Formen der prämaturen Teilentwicklung sollte gemeinsam mit dem endokrinologisch versierten Pädiater abgeklärt werden. Sonographisch ist in solchen Fällen ein Adnexprozeß auszuschließen, der die vorzeitige Reifung im Sinne einer Pseudopubertas praecox unterhalten könnte.

In der hormonellen Ruheperiode ist jede tumoröse Veränderung im Bereich der Adnexe umgehend abklärungsbedürftig. An Malignomen kommen am häufigsten die malignen Keimzelltumoren im Kindesalter vor. Aufgrund deren hoher Sensibilität gegenüber platinhaltigen Chemotherapeutika ist ein operatives Vorgehen mit dem Ziel der Erhaltung der Organfunktion der nicht betroffenen Adnexe und damit der Fertilität gerechtfertigt.

Eine besondere Herausforderung stellt die Betreuung von Patientinnen mit intersexuellem Genitale dar. In solchen Fällen ist ebenfalls die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine conditio sine qua non. Von einer solchen Kooperation profitieren die betroffenen Patientinnen und die ärztlichen Betreuer gleichermaßen.

Physiologische und abnorme Genitalbefunde

Im Rahmen der gynäkologischen Untersuchung eines Kindes kommt der Inspektion des äußeren Genitale ein zentraler Stellenwert zu. Neben der Festlegung der Reifezeichen nach Tanner ist die Beurteilung des Hymens von besonderer Bedeutung. Dabei ist nicht nur die Passierbarkeit in Richtung Vagina zu überprüfen. Auch das Aussehen des Hymens gibt wichtige Informationen, insbesondere über den Grad der Östrogenisierung: In der Neonatalperiode imponiert es aufgrund der noch vorhandenen Wirkung mütterlicher Hormone sukkulent und gut dehnbar, in der hormonellen Ruheperiode präsentiert es sich hingegen infolge der Atrophie als rigide.

Die Form des Hymens ist variabel, entweder rund (Hymen anulare) oder halbmondförmig (Hymen semilunare). Mitunter reicht die obere Begrenzung bis an das Orificium urethrae externum (Hymen semilunare altus), so dass das Hymen nur einen schmalen Zugang zur Scheide lässt

Die Diagnose eines Hymenalseptums oder eines Hymen micropunctatus impliziert nicht die sofortige operative Intervention im Kindesalter. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn solche Sonderformen im Rahmen der Kindervorsorgeuntersuchungen erkannt würden, um den Mädchen später unangenehme Erfahrungen bei der Kohabitarche zu ersparen.

Die Hymenalatresie und die Vaginalaplasie sind die einzigen genitalen Fehlbildungen, die bereits in der hormonellen Ruheperiode sicher diagnostiziert werden können. In seltenen Fällen kommt es beim atretisch verschlossenen Hymen in der Neonatalperiode zur Ausbildung eines Mukokolpos. Es ist dann umgehend die operative Intervention notwendig. Ansonsten sollen die operativen Korrekturen an Hymen und Vagina in die Zeit der Pubertät verlegt werden.

Die Indikation zur Vaginoskopie ist bei chronisch-rezidivierendem Fluor oder bei Blutungen in der hormonellen Ruheperiode gegeben. Die Wahl des geeigneten Instruments richtet sich nach den vorliegenden anatomischen Verhältnissen, um das Kind möglichst wenig zu belasten. Im Zuge der Vaginoskopie können auch zytologische und mikrobiologische Abstriche vorgenommen werden.

Die rektale Austastung des kleinen Beckens dient dem Ausschluss pathologischer Resistenzen. Allerdings wird die digitale Untersuchung in den letzten Jahren zunehmend von der Unterbauchsonographie verdrängt, da neben der exakten Darstellung von Uterus und Adnexe auch die Beurteilung des Endometriums möglich ist.

Die Festlegung der Reifezeichen nach Tanner in Bezug auf die Brustdrüsenentwicklung und die Pubesbehaarung, die Einstufung der Östrogenisierung im Bereich des Hymens, die zytologische Beurteilung des Scheidensekrets im Hinblick auf den Proliferationsgrad des Vaginalepithels und die sonographische Beurteilung der Endometriumhöhe sind Methoden, die eine orientierende Einschätzung des Entwicklungszustandes der kleinen Patientin zulassen und Antwort auf die Frage geben, ob dieser mit dem Alter des Kindes übereinstimmt. Ist dies nicht der Fall, sind weiterführende endokrinologisch-diagnostische Maßnahmen in die Wege zu leiten.

Genitale Infektionen im Kindesalter

Unter den vielfältigen Krankheitsbildern in der Kindergynäkologie kommt den Genitalinfektionen eine besondere Bedeutung zu. Etwa 30 % der Mädchen werden mit den Beschwerden der Vulvitis bzw. der Vulvovaginitis oder wegen unklaren Fluors vorgestellt.

Die Vulvitis entwickelt sich typischerweise infolge insuffizienter Genital- und Stuhlhygiene in einer Lebensphase, in der die kleinen Mädchen diesbezüglich zum selbständigen Handeln erzogen werden. Mitunter treten Rötungen im Vulvabereich im Zusammenhang mit einer Infektion der oberen Luftwege oder einer Kinderkrankheit (Masern, Windpocken) auf, begleitet von gelblich-grünlichem, mitunter blutig-eitrigem vaginalen Fluor als Zeichen der Vaginitis. Es handelt sich fast ausnahmslos um unspezifische Infektionen, hervorgerufen durch Streptokokken, Fäkalkeime, Hämophilus und einige Anaerobierarten.

Allzu oft werden Entzündungen im Bereich des äußeren Genitale mit Antipilzsalben behandelt. Die Vulvovaginalkandidose in der hormonellen Ruheperiode ist jedoch eine Rarität. Candida-Pilze suchen sich das östrogenisierte Milieu in der Neonatalperiode oder in der Pubertät.

Das therapeutische Vorgehen bei Vaginitis richtet sich nach dem Ergebnis der mikrobiologischen Untersuchung des Vaginalsekrets. Beim Nachweis von Escherichia coli und/bzw. Enterokokken muss eine Beratung hinsichtlich einer adäquaten Stuhl- und Genitalhygiene erfolgen.

Mit dem Abheilen entzündlicher Reaktionen im Hals-Nasen-Rachenraum kommt es meistens auch zum Sistieren des vaginalen Fluors. Das Vaginalepithel ist im entzündlichen Zustand besonders vulnerabel, Kontaktblutungen im Zuge der Abstrichvornahme oder blutiger Fluor sind daher keine Seltenheit.

Die mehrtägige intravaginale Applikation einer östrogenhaltigen Creme führt zur Proliferation des Epithels bis hin zur Ausreifung von Superfizialzellen. Im Zuge einer solchen Behandlung heilen die entzündlichen Veränderungen in der Scheide ab. Unterstützend wirken milde, desinfizierende Sitzbäder bei Vulvitis.

Mitunter kommt es als Reaktion auf die Entzündung zu Verklebungen der Labia minora. Auch in einem solchen Fall sorgt eine östrogenhaltige Creme nach digitaler Lösung der Labiensynechie - lokal appliziert - für eine rasche Heilung.

Eine Aszension von Keimen mit Ausbreitung der Entzündung auf höhergelegene Genitalabschnitte ist im Kindesalter aufgrund des fest verschlossenen Zervikalkanals nicht möglich. Allerdings kann es bei entzündlichen Darmerkrankungen - vorzugsweise bei Appendizitis - zu einer entzündlichen Mitreaktion der Adnexe kommen.

Virale Läsionen in der Anogenitalregion treten als Mollusca contagiosa oder als Condylomata acuminata in Erscheinung und sind Ausdruck einer Störung der allgemeinen oder lokalen Immunabwehr. Die Virustypisierung lässt die genaue Einschätzung der an der Infektion beteiligten Viren zu. Im Kindesalter sind es in erster Linie die HPV-Typen 2, 6 und 11. Auf der Suche nach einer Erklärung für die Entstehung derartiger Veränderungen konnte man nachweisen, dass nicht nur die horizontale und direkte Transmission, sondern auch die vertikale Übertragung der Viren von symptomatischen und asymptomatischen Müttern über den Geburtskanal und transplazentar auf die Feten angenommen werden muss

Die spontane Rückbildung von HPV-Läsionen durch Viren der Low-risk-Gruppe ist möglich. Ansonsten ist neben der Stärkung der Immunabwehr (z.B. durch Anwendung von Phytotherapeutika) die CO2-Laservaporisation das therapeutische Vorgehen der Wahl.

Nicht selten trifft man auf eine Vulvaveränderung, die fälschlicherweise als chronische Pilzerkrankung eingestuft wird: Es ist der Lichen sclerosus et atrophicans, eine chronische Dermatose, die mit schmerzhaften, blutenden Hauteinrissen und Superinfektionen einhergehen kann und quälenden Juckreiz und Brennen verursacht. Charakteristisch für den juvenilen LSA ist die Spontanremission in der Pubertät. Eine spezifische Therapie gibt es nicht, pflegende Cremes verschaffen Linderung und setzen die Vulnerabilität der Hautstrukturen herab. Im Notfall empfiehlt sich die Applikation einer Kortison-haltigen Salbe. Manche Untersucher empfehlen die Verwendung von Progesteron-Creme. Testosteron-haltige Salben sind wegen der Resorption der Androgene obsolet.

Fazit für die Praxis

Die Inhalte einer kindergynäkologischen Sprechstunde sind wie folgt zu definieren:

  • Abnorme und krankhafte Veränderungen im Bereich des äußeren Genitale gehören zu den häufigsten Befunden, die in einer kindergynäkologischen Sprechstunde abzuklären sind:
  • Bei bakteriellen Infektionen, viralen Läsionen, Dermatosen und deren Folgeerkrankungen wie z.B. einer Labiensynechie bestehen keine diagnostischen/therapeutischen Probleme;
  • Die Beschreibung der Hymenalform ist eine wichtige präventive Maßnahme und kann zu jeder Zeit ohne Beeinträchtigung des Kindes vorgenommen werden.
  • Die Reifezeichen nach Tanner müssen sich mit dem Entwicklungszustand bzw. dem Alter des Kindes decken. Bei Abweichungen sind eine Pubertas/Pseudopubertas praecox oder eine prämature Teilentwicklung auszuschließen.
  • Bei der Abklärung unklarer Unterbauchschmerzen im Kindesalter muss differentialdiagnostisch auch eine Beteiligung des inneren Genitale in Erwägung gezogen werden. Jeder Adnextumor in der hormonellen Ruheperiode ist zunächst malignitätsverdächtig und bedarf einer sofortigen Abklärung (Sonographie, gynäkologische Untersuchung, Bestimmung von Tumormarkern).
  • Zeit und Geduld für Beratung und Aufklärung stehen im Mittelpunkt einer kindergynäkologischen Sprechstunde.

Verfasserin:

Prof. Dr. med. Isolde Wachter