Fachwissen

Eine positive Veranstaltung:

Schweizer Tagung für Kinder- und Jugendgynäkologie

aus korasion Nr. 4, Dezember 2000

Berichterstatterin: Dr. med. Judith Esser Mittag, Düsseldorf

Am 23.09.2000 fand im Inselspital Bern eine Fortbildungstagung statt, an der 300 Kolleginnen und Kollegen teilnahmen, viele davon aus dem pädiatrischen Fachgebiet. Die Leitung hatte Francesca Navratil, die selbst Kinderärztin ist und an der Universitäts-Kinderklinik Zürich die kinder- und jugendgynäkologische Sprechstunde leitet.
Die Referate am Vormittag waren praxisnah und patientinnenorientiert. Einleitend berichtete Frau S.M. Meier über die Schweizer Version von "Durchblick": Dieses Beratungsangebot für Jugendliche zum Thema "Liebe und Sexualität" wird mit über 2 000 Anrufen pro Jahr sehr gut angenommen. Zahlenmäßig im Vordergrund stehen Aufklärungsthemen sowie Fragen zum Körper und seinen Funktionen. Im sog. Gefahrenbereich entfallen die meisten Fragen auf das AIDS. Die Initiative gibt auf einer Internet-Seite (www.durchblick.ch) auch detaillierte Auskünfte zum (ersten) Frauenarztbesuch.

Auch im zweiten Referat ging es um junge Mädchen und deren Fragen: Saira-Christine Renteria und Ursula Yersin arbeiten in der französischen Schweiz. Sie berichteten über Sexualerziehung und Familienplanungsberatung in der jugendgynäkologischen Sprechstunde. Beide betonten, dass man sich in dieser Sprechstunde voll engagieren muss, d.h. die jungen Mädchen sollen spüren, dass man sich für sie wirklich interessiert und dass sie mit ihren Fragen ernst genommen werden.

In der Prä- und Perimenarche beziehen sich die Fragen der Mädchen am häufigsten auf die Chronologie der Pubertätsentwicklung, gefolgt von Fragen zur Anatomie der Sexualorgane. Das Begehren wird entdeckt, das Interesse am anderen Geschlecht nimmt zu - darauf bezieht sich die nächste Gruppe von Fragen. An vierter Stelle liegen Fragen zur Kontrazeption und zur Vermeidung von sexuell übertragbaren Krankheiten.

In der Postmenarche verlagert sich der Interessenschwerpunkt auf die Menstruationshygiene, auf Fragen der Fruchtbarkeit und Reproduktion, auf Fragen zu sexuellen Beziehungen und damit verbundene Probleme, aber auch auf die Risiken hinsichtlich einer Ansteckung mit dem HIV. Ab diesem Alter müssen die Mädchen Verantwortung für sich selbst übernehmen. Deshalb gewinnt der Besuch beim Frauenarzt hohes Interesse: Muss die gynäkologische Untersuchung sein? Was passiert da? Wie kann ich mich vorbereiten? Soll ich eher zu einem Frauenarzt oder besser zu einer Frauenärztin gehen? In Begleitung? Mit wem? Wer zahlt? Bei den älteren Mädchen listeten die Referentinnen als häufigste Fragen auf: Sorgen wegen Regelstörungen, Dysmenorrhoe, Brustentwicklung. Wie kommt eine Empfängnis zustande? Einnahme der Pille auch ohne Freund? Macht die Pille dick? Kondom gerissen! - die Regel ist ausgeblieben - bin ich schwanger?

Es wurde deutlich, dass die Schwerpunkte des Interesses der raschen körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung in diesen Jahren folgen. Die Mädchen suchen dringend Orientierung bei einer fachlich und menschlich qualifizierten Arztpersönlichkeit.

F. Navratil sprach über die gynäkologische Untersuchung beim kleinen Mädchen und machte die entscheidende Bedeutung klar, die dem Kinderarzt für die frühzeitige Erkennung von abweichenden bzw. pathologischen Genitalbefunden zukommt. Wichtige Symptome in der hormonalen Ruheperiode sind Brennen, Juckreiz, Schmerzen beim Wasserlassen, vermehrter Fluor und Blutungen. Die instrumentelle Untersuchung wird bei Kleinkindern nur bei definierter Indikation durchgeführt, die Inspektion ist unerlässlich. Eine gute Positionierung, Separation und Traktion der kleinen Labien, eventuell die Knie-Ellbogen-Lage verhelfen zur vollen Übersicht. Ein Handspiegel wird gern genommen, denn "dann sieht das Mädchen dasselbe, was der Arzt sieht".

Beim Neugeborenen müssen intersexuelles Genitale, Hymenalatresie und Klitorishypertrophie erkannt werden, in den folgenden Jahren Anomalien bzw. Verletzungen des Hymens und Labiensynechien. Bei den 6- bis 14jährigen werden Anamnese und Gespräch immer wichtiger, eine Untersuchung erfolgt nur bei spezifischer Indikation. Die frühzeitige Diagnose gynäkologischer Anomalien bzw. Störungen bei Neugeborenen, in der hormonalen Ruheperiode sowie in der Pubertät unter Berücksichtigung der Frage: "Lokale Pathologie oder mögliche Manifestation einer systemischen Erkrankung" leistet den wichtigen Beitrag der Kinder- und Jugendgynäkologie zur Prävention bzw. Früherkennung schwerwiegender Erkrankungen.

In Fortsetzung dieser Ausführungen erörterte S.-Ch. Renteria Sinn und Unsinn der gynäkologischen Untersuchung bei der Adoleszentin. Sie stellte die traditionelle Übung zur Diskussion, unter 18 Jahre alte Mädchen bei sexueller Aktivität und Kontrazeptionswunsch gynäkologisch zu untersuchen, und nannte Gründe, dies bei asymptomatischen Mädchen mit dem Ziel zu unterlassen, Ängste zu vermeiden und "beim nächsten Mal" eine bessere Compliance zu erreichen. Die extragenitale Untersuchung muss hingegen unbedingt stattfinden, da die äußere Inspektion wichtige Hinweise auf Erkrankungen (Herpes, Kondylome) geben kann. Auch muss das Abdomen abgetastet und das Haarwuchsmuster beachtet werden. Im Bedarfsfall ist auf die rektale Untersuchung zurückzugreifen. Die Untersuchung mit Ultraschall kann mitunter die manuelle Untersuchung ersetzen, niemals aber die Inspektion der Vagina.

S.-Ch. Renteria wies zudem auf eine bedenkliche Situation hin: Es muss generell mehr auf sexuell übertragbare Erkrankungen geachtet werden. In 25 % aller Fälle sind Adoleszentinnen betroffen. Bei einem großen Teil der sexuell aktiven Adoleszentinnen ist das HPV der Typen 16 bis 18 nachweisbar. Ausnahmsweise kommen invasive Zervixkarzinome schon bei 15- bis 19jährigen vor. Der entscheidende Risikofaktor ist die frühe Aufnahme von Geschlechtsverkehr: Findet er vor dem 18. Lebensjahr statt, so besteht im Vergleich zu Frauen, die ihre Kohabitarche mit 22 Jahren erlebten, ein fünfmal höheres Risiko. Die Abnahme eines Zervixabstriches sollte bei Risikopersonen zwei bis drei Jahre nach der Kohabitarche beginnen.

Als nächster Referent schilderte F. Peters die Entwicklung der Brust von der Geburt bis zur Adoleszenz. Er sprach über Normen und Normvarianten sowie Pathologien und erläuterte auch, welche Diagnostik sinnvoll ist und welche Therapiemöglichkeiten gegeben sind. Der Referent illustrierte seine Ausführungen mit instruktivem Bildmaterial, welches die unterschiedlichen Befunde zwischen dem Beginn der Brustveränderungen im Alter von acht bis neun Jahren und dem Endzustand bei der 22jährigen Frau belegte.

Als letzte Referentin sprach Marlene Heinz über Genitalinfektionen in der Kindheit und in der Adoleszenz (Vorkommen, Diagnose, Therapie). Die Inzidenz unspezifischer Infektionen im Bereich von Vulva und Vagina hat alterstypische Schwerpunkte: Im zweiten Lebensjahr ist ein Anstieg an Infektionen zu verzeichnen, im dritten und vierten Lebensjahr ein Gipfel, dem ganz überwiegend Mängel der persönlichen Hygiene zugrunde liegen. Das atrophische, nicht östrogengeschützte Vaginalepithel kleiner Mädchen ist besonders empfänglich gegenüber unspezifischen bakteriellen Infektionen. Außerdem gibt es in der Kindheit die Begleitvulvovaginitiden infolge von Infektionen der oberen Luftwege im Zusammenhang mit fieberhaften Kinderkrankheiten sowie bei Harnweginfekten. Auch der durch Darmparasiten verursachte Fluor sowie der Fluor bei intravaginalem Fremdkörper, charakterisiert durch fötiden Geruch, ist bevorzugt bei kleinen Mädchen zu finden.

Für sexuell übertragbare Krankheiten ist der direkte Ansteckungsweg bis zum zehnten Lebensjahr eher unwahrscheinlich, doch werden mit Ausnahme von Gardnerella, Mykoplasmen und Ureaplasmen zahlreiche Erreger bereits peripartal übertragen. Dass die Gonorrhoe bei kleinen Mädchen durch Schmierinfektionen zustande kommen kann, ist schon lange nachgewiesen.

In der lebhaften Diskussion wurden zahlreiche Einzelheiten, unter anderem zu Labiensynechien und zum Lichen sclerosus erfragt, wie überhaupt alle Inhalte auf lebhaftes Interesse im Auditorium stießen.

Am Nachmittag fanden Workshops zu folgenden Themen statt: Kontrazeption, Betreuung von Anorexie-Bulimie-Patientinnen, Pupertät/Varianten, Zyklusstörungen und kindergynäkologische Probleme/sexuelle Ausbeutung. In diesen Workshops konnten manche Themen mit den Referenten weiter vertieft werden.

Der Gesamteindruck dieser Veranstaltung war sehr positiv: Ganz sicher haben alle Anwesenden viel Hilfreiches für ihre tägliche Arbeit mit nach Hause nehmen können.