Fachwissen

Pubertät und Fertilität nach antineoplastischer Therapie im Kindes- und Jugendalter

Michaela Marx und Jörn D. Beck*

Kurzfassung aus korasion Nr. 1, März 2002

* Für das Late Effects Surveillance System (LESS) der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH).

Da sich die Prognose bei Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter in den letzten drei Jahrzehnten extrem verbessert hat, gewinnt die Frage nach der Qualität des Überlebens und damit nach Art und Ausmaß von Spätfolgen der Erkrankung bzw. der intensiven Therapie zunehmend an Bedeutung. In Kenntnis der Notwendigkeit einer systematischen und standardisierten Spätfolgenerfassung hat die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) die Arbeitsgruppe „Spätfolgen“ eingerichtet.

An der Klinik für Kinder und Jugendliche der Universität Erlangen-Nürnberg wurde das Late Effects Surveillance System (LESS) etabliert, das in enger Zusammenarbeit mit der GPOH, d.h. im Rahmen der verschiedenen Therapieoptimierungsstudien der GPOH eine zentrale, prospektive Spätfolgenerfassung bei allen in diesen Studien behandelten Patienten anstrebt.

Störungen der Gonadenfunktion und Fertilität bis hin zur Infertilität gehören zu den häufigen Spätfolgen einer onkologischen Therapie bei Kindern und Jugendlichen. Wenn auch einzelne Daten über die Gonadentoxizität bestimmter Therapieverfahren vorliegen, sind bislang jedoch keine validen Aussagen über die reproduktive Zukunft der heute behandelten Patienten möglich.

Zur Planung multizentrischer prospektiver Studien und Querschnittsuntersuchungen haben wir im Rahmen von LESS neben der Analyse eigener Patientendaten eine Literaturrecherche zu Pubertät und Fertilität bei Mädchen und Frauen nach onkologischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter und über Ansätze der Gonadenprotektion während der Therapie durchgeführt.

Störungen der Gonadenfunktion und Fertilität können neben einer Einschränkung der subjektiven Lebensqualität durch sekundäre Störungen wie eine vorzeitige Osteoporose deutliche körperliche Beeinträchtigungen zur Folge haben. Art und Ausmaß der Störungen sind abhängig von der Dosis, Art und Kombination der antineoplastischen Therapieelemente. Für einzelne Faktoren besteht eine deutliche Abhängigkeit vom Alter und vom Reifestatus der Patientinnen während der Therapie.

Aufgrund der alterungsbedingten Atresie von Primordialfollikeln zeigt die klinische Symptomatik nach strahlen- oder zytostatikainduzierter Schädigung der Ovarien eine ausgeprägte Altersabhängigkeit. Nach vergleichbaren ovariellen Strahlendosen bzw. kumulativen Zytostatikadosen kommt es bei jungen Mädchen deutlich seltener zu einer primären/sekundären Amenorrhoe als bei älteren Frauen. Dennoch muss bei der Beratung von Patientinnen mit Kinderwunsch neben dem Risiko der vorzeitigen Menopause infolge vorzeitiger Reduktion des Follikelpools auch ein nach abdomineller Radiatio erhöhtes Abortrisiko aufgrund von Störungen des Uteruswachstums und der uterinen Vaskularisation bedacht werden.

Nach einer kranialen Bestrahlung kann es dosisabhängig zu einem sekundären oder tertiären Hypogonadismus kommen: Bei niedrigeren hypothalamo-hypophysären Strahlendosen kommt es zunächst zu einer Schädigung von Neuronen mit inhibitorischer Wirkung auf den hypothalamischen GnRH-Pulsgenerator, so dass die Pubertätsentwicklung vorzeitig oder früh eintreten und in ihrem Ablauf beschleunigt sein kann. Eine eigene retrospektive Analyse der Pubertätsentwicklung von zwölf Mädchen nach einer Therapie wegen verschiedener Hirntumoren  (Operation, Chemotherapie, kraniale bzw. kraniospinale Radiatio mit einer hypothalamo-hypophysären Strahlendosis von im Mittel 36,5 [30,0 bis 55,0] Gy; Alter bei Therapieende im Mittel 6,1 [2,7 bis 12,2] Jahre, alle im Tanner-Stadium 1) zeigte einen im mittleren Normbereich nach Largo und Prader liegenden spontanen Pubertätsbeginn, aber eine deutlich beschleunigte Progression der Pubertät.

Eine konsequente Erfassung der Pubertätsentwicklung und Knochenreifung ist auch für Mädchen und Frauen essentiell, die im Kleinkindesalter behandelt wurden, da weitere hypothalamo-hypophysäre Hormonausfälle wie z.B. ein Wachstumshormonmangel durch eine frühe oder beschleunigte Pubertätsentwicklung vorübergehend maskiert werden können.

Um eine optimale Betreuung von Patientinnen nach einer antineoplastischen Therapie im Kindes- und Jugendalter zu ermöglichen, bedarf es einer langfristigen und regelmäßigen Nachsorge im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter. Im Rahmen dieser Nachsorge muss neben der Therapie wegen möglicher Spätfolgen die aktive Aufklärung eine wichtige Rolle spielen, um den ehemaligen Patientinnen eine optimale eigenverantwortliche Lebensplanung zu erlauben.

Verfasser:

Dr. med. Michaela Marx und Prof. Dr. med. Jörn D. Beck
Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche
Loschgestraße 15
91054 Erlangen