Fachwissen

Die heimliche Epidemie

Infektionen mit Chlamydien

aus korasion Nr. 4, Dezember 2004

Zehn Prozent aller 17-jährigen Mädchen leiden an einer Chlamydien-Infektion. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Berliner Untersuchung. „Die Zahlen sind alarmierend“, mahnte Dr. med. Gisela Gille, Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V. (ÄGGF) auf dem 55. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, der vom 14.09. bis 17.09.2004 in Hamburg stattfand.

Hauptverursacher infektionsbedingter Sterilität

Nach den Sommerferien hat ein vermeintlich harmloses Bakterium wieder Hochkonjunktur: Chlamydia trachomatis ist nicht lebensbedrohlich, nicht spürbar und bleibt bei zwei von drei Frauen unentdeckt. Das in Europa und in den USA häufigste sexuell übertragene Bakterium gilt indes als Hauptverursacher infektionsbedingter Sterilität.

Schätzungsweise 100 000 Frauen können bereits jetzt aufgrund einer abgelaufenen Chlamydien- Infektion keine Kinder bekommen. „Doch sexuell übertragbare Krankheiten sind in Deutschland ein Tabuthema“, kritisierte G. Gille. „Sie rangieren auf Platz eins der Peinlichkeitsskala.“ Darum gibt es hierzulande keine aussagekräftigen Daten über die Verbreitung der Infektion.

Seit 1991 sind nur noch HIV-lnfektionen und die Syphilis meldepflichtig. Das Berliner Robert-Koch-Institut hat die Ärzteschaft daher um Mithilfe gebeten, nicht-meldepflichtige, sexuell übertragbare Krankheiten dennoch zu melden. Bei der ersten Auswertung stand die Chlamydien-Infektion an erster Stelle von insgesamt 1400 gemeldeten Erkrankungsfällen.

Wissen nahe Null

Die Jugendlichen wissen nahezu nichts über das gefährliche Bakterium. Das ist eines der Ergebnisse einer unter der Leitung von Dr. med. Gisela Gille und Dr. med. Christine Klapp in Berlin durchgeführten Untersuchung.

Im Rahmen der Beobachtung  informierten Ärztinnen der ÄGGF 14- bis 17-jährige Mädchen in 92 Berliner Schulklassen über die Chlamydien-Infektion und verteilten Informationsblätter zum Thema „Screeninguntersuchung“: In der Praxis eines Frauenarztes des „Arbeitskreises Infektion und Sexualität“ konnten Mädchen bzw. junge Frauen anonym und kostenlos am Chlamydien-Test teilnehmen.

Wer sich für den Test entschied, beantwortete einen anonymen sozioepidemiologischen Fragebogen zum Thema „Chlamydien-Infektion“. Die Auswertung der 266 Fragebögen bestätigte den Verdacht von G. Gille:

  • Acht von zehn Teenagern hatten vor der Lektüre der Informationsbroschüre noch nie etwas über Chlamydien gehört.
  • Neun von zehn wussten nichts über die Möglichkeit einer symptomlosen, andauernden Infektion und über mögliche Folgen für ihre Fruchtbarkeit.
  • Die hohe Verbreitung von Chlamydien-Infektionen bei Jugendlichen war 94 von 100 Mädchen nicht bekannt. Das Wissen war bei den Hauptschülern und bei den Schülern ohne Abschluss am schlechtesten.

„Diese Ergebnisse sind umso katastrophaler, wenn man berücksichtigt, dass das Zeitfenster vom ersten Sexualverkehr bis zum konkreten Kinderwunsch stetig wächst. Im Schnitt sind das jetzt schon zehn Jahre“, gab G. Gille zu bedenken.

Teenager bereits zu 5% infiziert

Die Häufigkeit der Infektion steigt mit dem Alter und der Anzahl der Partner. Die Mädchen, die an der Screeninguntersuchung teilnahmen, waren im Durchschnitt 16 Jahre alt und hatten mit vierzehneinhalb
Jahren ihren ersten sexuellen Kontakt. Bei den unter 15-Jährigen waren nur 3,6% infiziert, bei den 17-Jährigen waren es bereits 10 %.

Die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion mit Chlamydien steigt, wenn innerhalb des vorangegangenen Jahres Scheidenentzündungen aufgetreten waren, wenn Mädchen schon früh Geschlechtverkehr und schon mehrere Partner hatten.

„Ohne“ toller als „mit“

Beim ersten Geschlechtsverkehr benutzen noch 65 von hun-dert Mädchen bzw. jungen Frauen Kondome zur Verhütung. Viele Teenager steigen jedoch rasch auf die Pille um: 72 % verhüteten in den vorausgegangenen sechs Monaten mit der Pille, nur noch ein Drittel verwendete Kondome. Regelmäßige Kondomverwendung gibt nicht einmal jedes fünfte Mädchen an. Nach dem „letzten Mal“ gefragt, gaben acht von hundert Mädchen an, auf jegliche Kontrazeption verzichtet zu haben.

„Der Gebrauch von Kondomen ist mehrheitlich sehr unregelmäßig“, stellte G. Gille fest. „Es gibt zwar kein Imageproblem mit Kondomen, aber die Hälfte der Jugendlichen findet Sexualverkehr ,ohne’ einfach toller als ‚mit’ und ahnt nichts von der Notwendigkeit, sich zu schützen. Kondomgebrauch ist in Deutschland exklusiv mit AIDS assoziiert. Das zielt aber an der epidemiologischen Situation Jugendlicher vorbei.“

Frühzeitige Diagnose verhindert Chronifizierung

Um die Situation in den Griff zu bekommen, fordert die ÄGGF die Erhebung verlässlicher, bundesweiter Daten sowie mehr ärztliche Aufklärung in den Schulen. „Es geht nicht an, dass die Jugendlichen den Preis für eine vermeintliche Liberalität bezahlen. Sie haben ein Recht auf die ganze Wahrheit“, empörte sich G. Gille. Darüber hinaus würde mehr frühzeitige Diagnostik die Gesundheitsschäden in Grenzen halten. „Wir empfehlen eine rechtzeitige Screeninguntersuchung mit sensitiven PCR-Tests, beispielsweise vor der Verschreibung der Pille und anschließend jährlich“, so die Lüneburger Ärztin. Denn so könne man durch eine frühzeitige Antibiotikatherapie eine Chronifizierung vermeiden.

Bei den meisten Mädchen bzw. jungen Frauen beginnt die Infektion mit einer Entzündung in der Schleimhaut des Gebärmutterhalskanals, die lange unentdeckt bleibt. In mindestens der Hälfte der Fälle wandern die Erreger jedoch weiter in Richtung Gebärmutter. Leichte Zwischenblutungen oder Unterbauchbeschwerden können auftreten.

Schließlich können die Bakterien bis zu den Eileitern vordringen und dort im Gewebe irreversible Schäden anrichten. „Diese Schäden“, so G. Gille, „können wir verhindern, wenn wir die Jugendlichen aufklären und von der Kondomverwendung überzeugen, die Erkrankung rechtzeitig diagnostizieren und die Mädchen frühzeitig behandeln.“

(Nach der Presse-Information Nr. 9 der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe vom 15.09.2004.)