Fachwissen

Orthorexie:

Auch zwanghaft gesundes Essen kann krank machen

aus korasion Nr. 1, Februar 2007

Kann gesundes Essen ungesund sein? Ernährungsexperten wie Prof. Dr. Gerhard Jahreis von der Universität Jena und Psychologen beobachten seit geraumer Zeit eine neue Form der Essstörung: die so genannte Orthorexie. Die Bezeichnung „Orthorexie“ leitet sich vom Griechischen ab („orthos“ = richtig, „orexis“ = Appetit). Gemeint ist eine extreme Beschäftigung mit gesundem, „richtigem“ Essen. Bislang liegen allerdings nur wenige wissenschaftliche Daten über die Orthorexie vor, ganz abgesehen davon, dass eine präzise Definition fehlt.

Der Begriff wurde 1997 von Steven Bratmann geprägt: „Orthorexia nervosa“. Betroffen sind überwiegend Frauen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Menschen, die sich zwanghaft mit gesundem Essen beschäftigen, verbringen viel Zeit mit der Planung ihrer Mahlzeiten, indem sie u.a. Nährwerte sowie Mineralstoff- und Vitamingehalte der jeweiligen Lebensmittel berechnen. Im Leben der Orthorektiker dreht sich schließlich alles ums Essen: Die gesunde Ernährung wird zur Ideologie. Dabei spielt nicht so sehr die Menge, sondern vielmehr die vermutete Qualität der Nahrung eine Rolle, d.h. die Orthorektiker entwickeln spezifische Essgewohnheiten und legen sich selbst Ernährungsregeln auf. So werden Lebensmittel in „gute“ = gesunde und „schlechte“ = ungesunde eingeteilt. Schritt für Schritt werden die vermeintlich ungesunden Produkte aus dem Kostplan gestrichen.

Infolge dieser Verbote und der extremen Fixierung auf vermeintlich gesunde Nahrung verlieren die Betroffenen die Fähigkeit des lustvollen Genusses von Speisen. Oft leben sie sozial isoliert, da ein gemeinsames Essen mit Freunden kaum noch möglich ist.

Auffällig ist ferner: Orthorektiker steigern durch das äußerst disziplinierte Essen ihr Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich anderen, normal essenden Menschen überlegen. Zugleich kann es jedoch so sein, dass sie sich schuldig und schlecht fühlen, sobald sie ihren strikten Ernährungsplan nicht eingehalten haben. Dies wird dann durch Fasten und Abstinenz ausgeglichen.

Auslöser einer solchen Entwicklung können Reduktions- oder Allergiediäten sein. Als langfristige Folgen einer Orthorexie sind neben einem niedrigen Körpergewicht und sozialer Isolation Mangelernährung bzw. extremes Untergewicht sowie das Ausbleiben der Menstruation bekannt. Nicht zuletzt aber auch kann sich diese zwanghafte Form der Ernährung zu einer Magersucht (Anorexia nervosa) entwickeln.

Entsprechende Verhaltenstherapien können Orthorektikern einen neuen Zugang zum Essen vermitteln. Gemeinsam loten Therapeut und Betroffene den schmalen Grad zwischen einer gesunden Ernährung und dem zwanghaften „Gesundessen“ aus. Dabei ist wichtig, dass kein Lebensmittel vom Speiseplan gestrichen wird, also alle Lebensmittel in Maßen erlaubt sind. Ziel der Therapie ist es, wieder Spaß am Essen zu haben und sich lustvoll an den Produkten aus Lukullus Garten zu laben. dgk.