Fachwissen

Hormontherapie bei Hypogonadismus in Pubertät und Adoleszenz

Wann sind Kontrazeptiva indiziert?

Marlene Heinz

aus korasion Nr. 1, Februar 2009

Zur Therapie von Östrogen- und Gestagenmangelzuständen in der Pubertät und Adoleszenz können sowohl Hormon„ersatz“-Präparate als auch hormonelle Kontrazeptiva eingesetzt werden. Für die Wahl des Medikamentes ist u.a. entscheidend, ob gleichzeitig eine unerwünschte Schwangerschaft eintreten könnte und vermieden werden sollte.

Definition des Hormon-„ersatzes“ in der Pubertät

Angeborene genetische oder erworbene Defekte der Ovarialfunktion oder hypothalamische und hypophysäre Störungen führen infolge absoluten oder relativen Östrogenmangels zum Ausbleiben oder verzögerter Entwicklung der Pubertät. Dieser Hormonmangel muss behandelt und nicht „ersetzt“ werden. Es kann nichts „ersetzt“ werden, was nie vorhanden war.

Diese als hormonelle Entwicklungshilfe für Adoleszentinnen zu sehende Therapie ist somit von der Hormonersatztherapie (Hormone Replacement Therapy HRT) wegen abfallender bis nicht mehr vorhandener Hormonproduktion in Klimakterium und Menopause grundsätzlich hinsichtlich Ursachen und Zielen zu unterscheiden. Folgerichtig wird für die hormonelle Entwicklungs(hilfe)- Therapie in Pubertät und Adoleszenz die korrektere Bezeichnung „Hormonal Development Therapy“ (HDT) vorgeschlagen in Abgrenzung zur Hormonersatztherapie (HRT) in der Menopause. Wenn mit den unter HDT zu verstehenden notwendigen Therapien eine bereits langjährige therapeutische Praxis charakterisiert wird, ist im Zusammenhang mit den betreff enden Therapiekonzepten gleichzeitig auf das immer noch ungelöste Problem des „off -label-use“ kritisch zu verweisen.

Empfohlene Östrogene und Gestagene in der Pubertät

Orale konjugierte equine Östrogene (0,625 – 1,250 mg/d) sind am längsten und besonders in den USA für die Hormonbehandlung verwendet worden. In Europa wurde bevorzugt Östradiolvalerat (E2) oral (1 – 2 mg/d) verordnet. Allgemein wurde Ethinylestradiol (EE2) oral wegen seiner vergleichsweise deutlich stärkeren Wirkung auf Leberstoff wechsel und Gerinnungssystem deutlich seltener angewandt (Tab.1).

Tabelle 1: Empfohlene Östrogene und Gestagene in Pubertät und Adoleszenz

Orale Applikation

Östrogene

Natürliche Östrogene

  • equine Östrogene 0,625 – (1,25) mg/d

Äthinylestradiol 0,03 mg/d

Gestagene ohne androgene Nebenwirkung

  • Cyproteronacetat 1 – 2 mg/d
  • Chlormadinon 2 mg/d
  • Dienogest 2 mg/d
  • Drospirenon 3 mg/d

Alternativ: parenterale Applikation

Bei Akzeptanz: transdermal:

  • Pflaster (Estradiol 0,025 bis 0,050 mg/d)
  • Gel (Estradiol 1,5 bis 3 mg/d)
  • ab Tanner-Stadium B3: + Gestagen

Bei Indikation hormonale Kontrazeptiva

Oral oder bei Akzeptanz transdermales Pflaster oder intravaginal

Generell gilt, dass mit der oralen Applikation von Östrogenen höhere Östrogenspiegel die Portalvene und damit bevorzugt die Leber erreichen (sog. erste Leberpassage). Insbesondere die ansteigende Lebersekretion von LDL führt zu einem Anstieg der Triglyzeride. Weiterhin wird die Reninproduktion gesteigert. Der durch orale Östrogene verursachte Anstieg von sexualbindendem Hormon (SHBG) führt u.a. zu einer stärkeren Bindung der Sexualhormone, die dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Der Blutgerinnungsmechanismus kann im Sinne eines erhöhten Thromboserisikos verändert werden. Alle mit der ersten Leberpassage verbundenen Nebenwirkungen der oral verabfolgten Steroidhormone sind dosis- und präparateabhängig.

Sie sind am stärksten ausgeprägt beim Ethinylestradiol. Seine Halbwertszeit ist durchschnittlich vierbis fünfmal länger als die der „natürlichen“ Östrogene. Sogenannte natürliche Östrogene haben eine deutlich geringere Nebenwirkung auf Leberstoff wechsel und Gerinnungssystem.

Alle parenteralen Applikationen, heute gebräuchlich als Pflaster oder Gel, umgehen die erste Leberpassage und sollten daher bei Akzeptanz – in Abhängigkeit von der Indikation entweder als Östrogenmonotherapie oder als Östrogen-Gestagen-Kombination – bevorzugt werden.

Wann sind EE-haltige Kontrazeptiva bei Hypogonadismus in der Pubertät indiziert? Welche Präparate?

Generell sollten EE-haltige Präparate nur dann verordnet werden, wenn eine unerwünschte Schwangerschaft eintreten könnte. Ansonsten sind „natürliche“ Östrogene zu bevorzugen.

Alle Formen der Gonadendysgenesie mit Start der HDT bereits im Alter von elf bis zwölf Jahren sollten zunächst mit „natürlichen“ Östrogenen, ab dem zweiten Behandlungsjahr zusätzlich mit einem antiandrogenen Gestagen und ab dem dritten Behandlungssjahr schließlich mit einem Kombinationspräparat behandelt werden. Zu beachten ist, dass bei Turner-Patientinnen in 20 bis 30 Prozent eine spontane Pubertätsentwicklung und Menarche eintreten kann, insbesondere bei Mosaiken in bis zu 32 Prozent und XO in bis zu 14 Prozent. Schwangerschaftsraten werden bei zwei bis fünf Prozent mit erhöhten Komplikationsraten an Aborten, Chromosomenanomalien, fetalen Fehlbildungen und mütterlichen kardiovaskulären Problemen beschrieben. Diese Mädchen müssen in der Pubertät individuell dahingehend beraten werden, dass ihre Fertilität zwar vermindert, aber die Möglichkeit einer Schwangerschaft nicht absolut auszuschließen ist. Wenn das Mädchen eine Schwangerschaft vermeiden möchte, muss die HDT auf EE-haltige Kontrazeptiva umgestellt werden.

Bei allen behandlungsbedürftigen Formen der Pubertas tarda und der hypothalamischen Amenorrhö ist bei gegebener Indikation zur Schwangerschaftsverhütung auf EE-haltige Kombinationspräparate umzustellen.

Medizinische Indikationen zur Verordnung von Kontrazeptiva, wie zum Beispiel Dysmenorrhö und prämenstruelles Syndrom, kommen bei Mädchen mit Hypogonadismus unter HDT mit „natürlichen“ Östrogenen praktisch nicht vor. Allenfalls können Störungen der Hämostase, wie das Jürgen-Willebrandt-Syndrom, oder eine seltenere Störung der Hämostase mit Faktor VII-, IX-Mangel, Thrombozytopenie oder Afi brinogenämie die Umstellung auf ein EE-haltiges Präparat im Langzyklus, das heißt Pilleneinnahme ohne Pause, gebieten.

Tabelle 2: Empfohlene Kontrazeptiva in Pubertät und Adoleszenz

Orale EE-Gestagen-Kombinationen .Mikropillen"

EE30 µg + antiandrogenes Gestagen

  • hohe Sicherheit bei Compliance
  • geringe Nebenwirkungen
  • therapeutische Indikationen

zyklische Einnahme Mittel der Wahl
in Ausnahmefallen Langzyklus

Alternativ:

  • "Hormonpflaster" (EVRAR)
  • "Hormonring" ( NUVA-RINGR)

Was ist der konzeptionelle und praktische Unterschied zwischen Hormon„ersatz“ und Kontrazeption bei Mädchen in der Pubertät?

Konzeptionell besteht zunächst kein Unterschied, da sowohl Sexualsteroide mit nichtkonzeptioneller Wirkung als auch Kontrazeptiva zur Behandlung des Hormondefi zits bei Hypogonadismus in der Pubertät (= hormonelle Entwicklungstherapie HDT) prinzipiell geeignet sind. Für die Präparatewahl und auch ihre Applikationsform (oral, transdermal) sind primär die Nebenwirkungen vor allem auf Leberstoff wechsel und Gerinnungssystem entscheidend. Dabei spielen folgende Fragen eine Rolle: Alter? Grunderkrankung? Besteht die Möglichkeit einer Schwangerschaft?

Praktisch kommen Kontrazeptiva zur Therapie des Hypogonadismus in Pubertät und Adoleszenz nur dann in Betracht, wenn eine unerwünschte Schwangerschaft möglich ist. Ansonsten sind „natürliche“ Östrogene zu bevorzugen. Die hormonelle Entwicklungstherapie verlangt Einfühlungsvermögen des Arztes, bedarf individueller Medikation und bedingt Langzeit-Compliance der Patientin.

Autorin

Dr. med. Marlene Heinz
Lichtenberger Straße 5
10178 Berlin