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Menstruation und Pubertät: Ein Ausdruck der normalen weiblichen Gesundheit

Historie und Mythen

nach Vorträgen des 6. Berliner Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie, 23.-25.04.09, Lunchsymposium der Firma Johnson&Johnson vom 23. April 2009

Marlene Heinz

aus korasion Nr. 2, Mai 2009

Die über mehrere Jahrtausende vorhandenen Mythen um die Menstruation leben auch heute noch trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse teilweise weiter. So durften noch um 1970 menstruierende Frauen z.T. kein Blut spenden, weil ihr Blut während dieser Zeit hämolytisch sein könnte. Bis in die 1980er-Jahre hinein durften Frauen während der Menstruation in manchen Röntgen- oder Fotolaboratorien Deutschlands keine Filme entwickeln, weil ihr „Menstrualschweiß“ mit Silbersalzen gebunden schwarze Flecke auf den Bildern verursachen könnte.

Mythen trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse?

Schon in der vorchristlichen Zeit hat man sich Gedanken über die Menstruation gemacht (Abb. 1). Diese Irrlehren wurden fast 2000 Jahre nicht widerlegt. Und Paracelsus vertritt noch 1566 voller Überzeugung die bereits von dem Philosophen Plinius (23 – 79 n.Chr.) vertretene Theorie, dass Menstrualblut giftig sei. Und obgleich die Erkenntnis von J. Power 1821, dass die Menstruation durch ein das Ovar verlassendes Ei ausgelöst wird, v. Baer 1827 die weibliche Eizelle entdeckt und Charles Négier 1840 die Zusammenhänge zwischen Ovulation und Menstruation beschreibt, blühen neue spekulative Theorien auf (Abb. 2). Der Physiologe Ernst Pflüger veröff entlicht 1865 seine „Nerventheorie“, in der er einen vom Ovar ausgehenden Nervenreflex als ursächlich für die Menstruation beschreibt. An dieser Theorie wird bis zur Entdeckung der Hormone zu Beginn des 20. Jahrhunderts festgehalten.

Geschichte der Menstruation (1)

  • 3000 v.Chr. (Keilschrift auf Tontäfelchen):
    „Frauenpein hat meinen Körper ergriff en, lasset die Götter mir dieses Übel ausreißen.“
  • Altes Testament im dritten Buch Moses:
    „Wenn ein Weib ihres Leibes Blutfl uss hat, die soll sieben Tage beiseite getan werden; wer sie anrührt, der wird unrein sein …“
  • Aristoteles (384–322 v.Chr.), ähnlich Hippokrates, Galen u.a.:
    „Wenn die Blutgefäße voll sind, wird ein Überfl ießen unumgänglich und dieses Überfl iessen ist die Menstruation.“
  • Plinius (23–79 n.Chr.):
    „Außerhalb der Schwangerschaft wird das Blut ausgeschieden und ist unrein.“
  • Paracelsus 1566 n.Chr.:
    „Es gibt kein Gift in der Welt, das schädlicher ist als das menstruum.“

Geschichte der Menstruation (2)

  • 1821 stellt J. Power eine Theorie über den Zusammenhang von Menstruation und Ovar auf.
  • 1827 entdeckt Karl Ernst v. Baer die menschliche Eizelle.
  • 1840 beschreibt Charles Négier (Frankreich) Zusammenhänge zwischen Ovulation und Menstruation.
  • 1865 veröffentlicht Eduard Pflüger seine Nerventheorie:
    „Es ist bekannt, dass bei reizbaren, sonst ganz gesunden weiblichen Individuen plötzliche Veränderungen der Lebensweise oder stärkere Gemüthsaff ekte zu irgendeiner Zeit den menstruellen Blutfluss hervorzurufen im Stande sind."

1901 widerlegt Josef Halban in seinem Vortrag „Ovarium und Menstruation“ an der Wiener Akademie der Wissenschaften endgültig Pflügers These. Er gelangt zu der Erkenntnis, dass die Ovarien chemische Stoffe produzieren, welche den Menstruationseintritt verantworten. Allerdings ist auch er der Meinung, dass Ovulation und Menstruation gleichzeitig stattfinden. Erst die Untersuchungen von Fraenkel 1903 zu den zyklischen Veränderungen des Gelbkörpers und die Forschungen von Hitschmann sowie Adler 1908 zu denen des Endometriums bringen weitere Klarheit (Abb. 3).

Geschichte der Menstruation (3)

  • 1901 beweist Josef Halban den Zusammenhang zwischen Sekretion chemischer Stoff e aus dem Eierstock und Eintritt der Menstruation.
  • 1903 entdeckt Fraenkel die Funktion des Gelbkörpers.
  • 1908 beschreiben Hitschmann und Adler die Veränderungen des Endometriums während des Zyklus.

1920 erregt der Wiener Professor Schick durch seine Beobachtungen über Phänomene während der Menstruation großes Aufsehen. Wenn eine seiner menstruierenden Versuchspersonen Blumen berührte, ließen diese innerhalb weniger Minuten die Köpfe hängen. Schick führte zudem das monatliche Unwohlsein der Frau auf giftige Menstrualblutwirkungen zurück. Bis in die 1950er-Jahre wird die wissenschaftliche Debatte um die Existenz eines Menotoxins geführt. Und bis heute gilt so mancherorts in Deutschland die Meinung, dass von Menstruierenden zubereitetes Eingemachtes nicht haltbar wird, Fleisch bei Hausschlachtungen verdirbt oder Hefeteige nur zur Hälfte aufgehen.

Fazit

Mythen vorchristlicher Zeit sind bis heute gegenwärtig. Seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse wurden in der Vergangenheit immer wieder „fehlinterpretiert“ und für neue Theorien missbraucht. Dank moderner Forschung hinsichtlich der Wirkungen von Hormonen sowie Zusammenhängen von Ovulation und Menstruation sind wir aber mittlerweile in der Lage, Menstruationsstörungen aller Art weitgehend kausal zu behandeln. Daher sollten wir keine neuen „Mythen“ erfinden oder den Frauen gar ihre Menstruation ausreden (Abb. 4).

Geschichte der Menstruation (4)

  • 1920 „entdeckt“ der Wiener Professor Bela Schick das Menstruationsgift Menotoxin. Die wissenschaftliche Debatte darüber wird bis in die 50er-Jahre geführt, und die Mythen geistern bis heute herum.
  • Ab 1930 Erforschung des Regelkreises Hypothalamus–Hypophyse–Ovar mit ätiologischer Klärung von Menstruationsstörungen

Autorin

Dr. med. Marlene Heinz
Lichtenberger Straße 5
10178 Berlin