Fachwissen

Ullrich-Turner-Syndrom (UTS)

Gynäkologische Aspekte bei der Betreuung von Mädchen und jungen Frauen

von PD Dr. med. Patricia G. Oppelt und Prof. Dr. med. Helmuth G. Dörr

aus korasion Nr. 4, November 2013

Das Ullrich-Turner-Syndrom wird durch eine vollständige oder partielle Monosomie des X-Chromosoms verursacht und betrifft ca. 1:2.500 weibliche Neugeborene. Die Induktion und Weiterentwicklung der Pubertät liegt meistens in der Verantwortung der Kinderendokrinologen, wobei Ärztinnen und Ärzte mit der Qualifikation für Kinder- und Jugendgynäkologie durchaus in die Betreuung mit einbezogen werden sollten.

Beim Ullrich-Turner-Syndrom (UTS), der Fehlverteilung bzw. strukturellen Veränderung der Geschlechtschromosomen, finden sich variable phänotypische Charakteristika, wie z. B. Lymphödem im Bereich des Hand- und Fußrückens, Flügelfell (Pterygium colli), tiefer und inverser Haaransatz, Schildthorax, ein weiter Mamillenabstand, Hörstörungen, kardiovaskuläre (z. B. Aortenisthmusstenose) oder renale Fehlbildungen (Tab. 1). Das konstanteste Symptom ist der Kleinwuchs, weshalb die Diagnose in der Kindheit häufig erstmals bei dessen Abklärung gestellt wird (Ranke u. Saenger 2001, Doswell et al. 2006). Mädchen mit UTS werden meistens in spezialisierten pädiatrischen Zentren durch Kinderendokrinologen umfassend betreut, und aufgrund des Kleinwuchses mit Wachstumshormon behandelt.

Karyotyp 45,X (in %) 45,X/46,XX (in %)
Kleinwuchs 98 90
Gonadendysgenesie 90 75
weiter Mamillenabstand 78 50
Schildthorax 75 65
Ohrdysplasie 70 40
tiefer Haaransatz 80 45
Pterygium colli (Flügelfell) 65 45
Metakarpalzeichen 65 50
Nageldysplasien 75 50
vermehrte Naevi 70 60
renale Fehlbildungen 30-45 25
Herzfehler 20-30 10
Hörstörungen 50 45

Tab. 1: Häufigkeit phänotypischer Auffälligkeiten bei UTS in Abhängigkeit vom Karyotyp

Pubertät bei Mädchen mit UTS

Etwa 90 % der betroffenen Mädchen haben keine Pubertätsentwicklung, aufgrund einer primären Ovarialinsuffizienz. Die Ovarien besitzen bei der Geburt eine nahezu normale Anzahl an Primordialfollikeln, werden jedoch im Verlauf der Kindheit umgebaut zu als bindegewebige Stränge imponie rende so genannte „streak“-Gonaden. Laborchemisch findet man einen hypergonadotropen Hypogonadismus. Ca. 10 % der Mädchen haben eine normale Pubertätsentwicklung mit normalen Menstruationszyklen. Auch spontane Schwangerschaften sind beschrieben, meist bei vorliegendem Mosaik. Bei einem Karyotyp mit einem Y- Anteil besteht ein erhöhtes Entartungsrisiko der Gonaden, wodurch sich die Notwendigkeit einer Gonadektomie ergibt. Bei der Betreuung ergeben sich neben allgemein-frauenärztlichen Aufgaben folgende Aspekte:

  • bei Mädchen mit hypergonadotropem Hypogonadismus die Einleitung der Pubertät (hormonale Entwicklungstherapie) und Fortsetzung der Hormontherapie nach Ende der somatischen Entwicklung. Weiterhin ist eine Beratung bei Kinderwunsch sowie auch zur Osteoporoseprävention wichtig.
  • bei Mädchen mit spontaner Pubertät die klinische und laborchemische  Kontrolle der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse, die Beratung bei Wunsch auf Verhütung sowie die Beratung und Betreuung einer eventuellen Schwangerschaft.
  • bei Mädchen mit UTS und einem Y-Chromosom die Beratung hinsichtlich eines erhöhten Risikos für ein Gonadoblastom und ggf. bei Mädchen mit UTS und einem Y-Chromosom die Beratung hinsichtlich eines erhöhten Risikos für ein Gonadoblastom und ggf. die Durchführung einer Gonadektomie.
Estrogen
(mg/d)
Zeitraum
(tägl., kontinuierlich)
Gestagen
(mg/d)
Zeitraum
(Kalendertage)
Therapiedauer
Estradiolvalerat
oder *
  Chlormadinonazetat
(CMA)
   
0,2 kontinuierlich - - 6 Monate
0,5 kontinuierlich - - 6 - 12 Monate
1-1,5 kontinuierlich 2 1-12 im zweitem Jahr
(ca. Tanner B3)
2 kontinuierlich 2 1-12 ab dem dritten Jahr**

* Dydrogesteron 10 mg
* mikronisiertes Progesteron 200 mg (abends)
** vorzugsweise Kombinationspräparat (wie z.B. Femoston® 2/10 mg, Clionara®, Zoely®) oder transdermal (Estalis® sequi 50/250 µg/24 Stunden)

Tab 2: Schema zur Pubertätsinduktion bei Mädchen

Hormonale Entwicklungstherapie

Eine normale Pubertätsentwicklung ist für die heranreifende Persönlichkeit der Mädchen mit UTS sehr bedeutsam. Für die hormonale Entwicklungs therapie sollte man sich an die publizierten Empfehlungen der aktuellen Konsensusarbeit von Ranke u. Dörr (2009) halten (vgl. DGKJ-S1-Leitlinie „Pubertas tarda und Hypogonadismus“, AWMF-Register-Nr.: 027/025). Die Pubertät sollte bei einem chronologischen Alter von 12 bis 13 Jahren mit natürlichen Estrogenen eingeleitet und durchgeführt werden. Empfohlen wird die anfängliche Gabe von natürlichen Estrogenen, wie z.B. Estradiolva lerat (E2) in Tropfen- oder Tabletten form für die ersten 6 bis 12 Monate. Ab dem zweiten Therapiejahr wird ein Gestagen dazugegeben. Um die Praktikabilität zu verbessern, sollte das Estrogenpräparat kontinuierlich einge nommen und das Gestagen stets vom ersten bis einschließlich 12. Tag des jeweiligen Monats zusätzlich verabreicht werden (Tab. 2). Auf diese Weise kann bei Mädchen mit UTS die Ersatztherapie mit Estrogenpräparaten in der gleichen Weise durchgeführt werden, wie bei normalem Karyotyp und Hypogonadismus.

Hormontherapie nach beendeter Pubertätsinduktion

Neben dem Erreichen einer maximalen Knochenmasse, hat die adäquate psychosoziale und psychosexuelle Entwicklung eine große Bedeutung. Erst durch die regelmäßige  Periodenblutung fühlen sich viele als vollwertige Frauen. Die kombinierte Hormontherapie kann zyklisch oder kontinuierlich erfolgen. Auch die zyklische Therapie (mit regelmäßiger Blutung) ist ohne Estrogenabfall und in kontinuierlicher Einnahme möglich. Wenn keine Blutung gewünscht wird, ist ein kontinuierliches monophasisches Präparat angezeigt. Die effektive Tagesdosis für Estrogen beträgt per oral E2 zwei mg oder mikronisiertes Estradiol zwei mg bzw. 50 J.g bei transdermaler Gabe (Pflaster/Gel). Bei Kontrazeptionbedarf erfolgt die Hormontherapie über Ovulationshemmer. Hier gibt es seit 2009 die Möglichkeit oraler Kontrazeptiva mit E2 (z. B. Qlaira® mit der Kombination aus E2/Dienogest).

UTS und normale Pubertät

Ca. 10 % der Mädchen mit UTS haben eine normale Pubertätsentwicklung mit normalen Menstruationszyklen. Die Betroffenen müssen über die Notwendigkeit einer Verhütung bei nicht vorhandenem Kinderwunsch aufgeklärt werden (Ranke u. Saenger 2001). Auch muss über die Wahrscheinlichkeit und Konsequenzen einer vorzeitigen Ovarialinsuffizienz  beraten werden. Eine besondere Herausforderung stellt die Beratung in Hinblick auf die Fertilität und einen Kinderwunsch dar. Das erhöhte Risiko für eventuell lebensbedrohliche Komplikationen bei Mutter und Kind muss vor Konzeption unbedingt offen diskutiert werden.

Schwangerschaft

Eine spontane Konzeption ist mit ca. zwei Prozent bei Frauen mit UTS eher selten. In einer großen schwedischen Studie mit 482 Patientinnen mit UTS- kam es bei nur 27 Frauen (5,6 %) zu einer spontanen Schwangerschaft. Der Anteil der Frauen mit 45 X/46 XX-Mosaik lag bei 92 % (Bryman et al. 2011). Eine Lebendgeburt hatten 44 %, 45 % der Schwangerschaften führten zu einem Abort. Nach Eizellspende lag die Abortrate mit 26 % deutlich über der in der Allgemeinbevölkerung. Das Risiko, während der Schwangerschaft an einer kardialen Komplikation (Aortendissektion, Aortenruptur) zu sterben, liegt für Frauen mit UTS bei zwei Prozent, und ist damit 100 Mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Auch das Risiko für einen Hypertonus und Diabetes mellitus ist erhöht; die Verschlechterung bereits bestehender Begleiterkrankungen ist ebenfalls beschrieben. Auch die fetalen Risiken sind deutlich erhöht. Bei 7 % der Schwangerschaften kommt es zu einer Totgeburt, bei 20 % finden sich fetale Fehlbildungen und bei 4 % eine Trisomie 21. In 15 % kommt es erneut zu einem UTS. Die Rate der Frühgeburtlichkeit sowie für intrauterine Wachstumsrestriktion ist erhöht.

Gonadektomie

Der Karyotyp bestimmt, ob beim UTS eine Gonadektomie empfohlen wird. Bei gemischter Gonadendysgenesie (45 X/46 XY) liegt nach bisher vorhandener Literatur ein Entartungsrisiko der Gonaden von 7 bis 10 % vor (Gravholt et al. 2000). In diesem Fall besteht vor Durchführung einer Gonadektomie ein erweiterter Beratungsbedarf.

Fazit für die Praxis

Die Aufgaben bei der Betreuung von Mädchen und Frauen mit UTS sind anspruchsvoll. Bei der Vielfalt der verschiedenen Probleme sollte stets die interdisziplinäre Betreuung der Patientinnen gewährleistet sein.

Literatur: www.gyne.de

Korrespondenzadressen:

PD Dr. med. Patricia G. Oppelt
Frauenklinik der Universität Erlangen
Universitätsstr. 21-23
91054 Erlangen
Tel.: 09131/853 35 53
patricia.oppelt@noSpam.uk-erlangen.de

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. Helmuth G Dörr
Kinder- und Jugend- klinik der Uni Erlangen
Loschgestr. 15,
91054 Erlangen
Tel.: 09131/853 37 32
helmuth-guenter.doerr@noSpam.uk-erlangen.de