Fort- und Weiterbildung

Abstracts des Münchener Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft vom 23. bis 25. Oktober 2003, Frauenklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Posterbegehung

Dr. med. L. Petersen, Marburg

Der besondere Fall: Geschwisterpaar mit hereditärem Androgeninsensitivitätssyndrom

Einleitung:
Ein Gendefekt des Androgenrezeptors kann bei männlichem Karyotyp (46, XY) zur Ausprägung des Androgeninsensitivitätssyndroms führen (AIS). Der Phänotyp wird als „hairless pseudowomen“ bezeichnet, gekennzeichnet durch mangelnde sekundäre Körperbehaarung, primäre Amenorrhoe bei Sterilität, variabel-hypoplastisches, äußeres, weibliches Genitale und eine überdurchschnittliche Körpergröße der betroffenen Patientinnen. Die Häufigkeit des AIS liegt im kaukasischen Populationskreis bei 1: 65 000 (= 615 Betroffene in Deutschland).

Patientinnen und Methodik:
Ein Geschwisterpaar wurde im Alter von 16 bzw. 18 Jahren zur Abklärung einer primären Amenorrhoe gynäkologisch vorgestellt. Die weiterführende Diagnostik bestand aus der Inspektion der äußeren Genitalorgane, der transabdominalen Sonographie der inneren Genitalorgane, einer basalen Hormonanalytik (Gonadotropine, Prolaktin, Androgene, Kortikoide) sowie der zytogenetischen Diagnostik (Karyogramm und FISH), gefolgt von der molekulardiagnostischen Sequenzierung des Androgenrezeptorgens.

Ergebnisse:
Bei weiblichem Phänotyp mit hypoplastischem, innerem Genitale beider Geschwister fand sich ein deutlich erhöhter Serumandrogengehalt (ca. 15-fache weibliche Norm), so dass hierdurch bereits der Verdacht auf ein AIS gestellt werden konnte. Zytogenetisch bestätigte sich bei beiden ein unauffälliger männlicher Karyotyp. Die anschließende Sequenzierung des Androgenrezeptorgens erbrachte die Missence-Mutation R774H in Exon 6.

Schlussfolgerung:
Der Nachweis der R774H-Mutation erklärt das mangelnde Ansprechen auf zirkulierende Androgene, so dass trotz vorhandener Testes sich ein weiblicher Phänotyp entwickelt. Auch die sexuelle Prägung der Betroffenen ist weiblich. Die Diagnose wird häufig wie hier erst im Rahmen einer primären Amenorrhoe gestellt. Die Gonaden sollten nach der Pubertät entfernt werden aufgrund eines erhöhten Entartungsrisikos. Bei betroffenem Geschwisterpaar ist die Mutter als Konduktorin für das R774H-Allel anzunehmen. Dieser Umstand spielt im Hinblick auf eine suffiziente humangenetische Beratung der Familie eine entscheidende Rolle.

Dr. med. L. Petersen, K. Bock, B. Fritz, H. Rehder, K.D. Schulz und U. Wagner, 
Philipps-Universität Marburg