Fort- und Weiterbildung

Abstracts des Münchener Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft vom 23. bis 25. Oktober 2003, Frauenklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Prof. Dr. med. Hans Peter Schwarz, München

Schwangerschaft bei Patientinnen mit AGS

Das adrenogenitale Syndrom (AGS), auch kongenitale adrenale Hyperplasie genannt, ist eine autosomal-rezessive Erkrankung. Infolge eingeschränkter oder fehlender Aktivität eines der fünf an der Kortisol-Biosynthese beteiligten Enzyme in der Nebennierenrinde kommt es zu einer ungenügenden Bildung von Kortisol. Der weitaus häufigste Defekt ist der 21-Hydroxylasemangel mit einer Inzidenz von etwa 1:10 000 Neugeborenen.

Die mangelnde Rückkoppelung durch Kortisol führt zu vermehrter Ausschüttung von ACTH aus der Hypophyse, was eine Hyperplasie der Nebennierenrinde und eine vermehrte Bildung von adrenalen Androgenen zur Folge hat. Da diese übermäßige Androgenbildung schon beim betroffenen Feten und bereits sehr früh einsetzt, kommt es zu einer mehr oder weniger starken Maskulinisierung weiblicher Feten.

Bei etwa 70 % der Patienten mit 21-Hydroxylasemangel ist auch die Aldosteronsynthese eingeschränkt. Nach Geburt ab der zweiten Lebenswoche kann bei diesen Fällen ein lebensbedrohliches Salzverlustsyndrom auftreten. Mädchen mit AGS benötigen fast immer genitale Korrekturoperationen. Die medikamentöse Behandlung besteht in regelmäßiger Gabe von Kortisol und bei Bedarf einem Mineralokortikoid. Nach Abschluss der Wachstumsphase kann von Kortisol auf ein synthetisches Steroid wie Prednison oder Dexamethason gewechselt werden. Eine regelmäßige Medikamenteneinnahme mit Erhöhung der Dosis bei Stresszuständen ist lebenslang notwendig.

Theoretisch scheint die Behandlung logisch und einfach, die praktische Durchführung ist schwierig. Viele der jetzt ausgewachsenen Frauen mit AGS haben ihre Zielgröße nicht erreicht, da sie entweder mit zu hohen Kortisoldosen behandelt wurden oder bei mangelnder Compliance eine Entwicklungsbeschleunigung erlitten.

Eine Virilisierung bei ungenügender medikamentöser Einstellung ist in jedem Lebensalter möglich. Die Fertilität bei Frauen mit AGS ist eingeschränkt. In der Literatur sind bisher deutlich weniger als 100 erfolgreiche Schwangerschaften bei Frauen mit AGS beschrieben worden. Als Gründe infrage kommen hormonelle Ursachen mit dauernder Tendenz zu Überproduktion von Androgenen und Progesteron.

Anovulatorische Zyklen und spontane Frühaborte sind häufig. Ein zweiter Faktor ist die früher doch häufigere inadäquate genitale Korrektur bei den jetzt erwachsenen Frauen. Als dritter Faktor wichtig sind psychosexuelle Gründe. Frauen mit AGS sind weniger häufig verheiratet, über eine pränatale Maskulinisierung des Gehirns wird spekuliert.

Von den über 120 in unserem Zentrum betreuten und jetzt erwachsenen Frauen mit AGS sind 19 schwanger geworden und haben in den Jahren 1978 bis 2000 insgesamt 32 Kinder geboren. Von den 19 Frauen hatten zwei ein salzverlierendes AGS, zwölf ein einfachvirilisierendes AGS und fünf ein nichtklassisches, sogenanntes lateonset AGS. In allen Fällen wurde die Diagnose auch molekularbiologisch gesichert. Das Alter bei der ersten Schwangerschaft lag im Mittel bei 28,0 Jahren (18,0-36,0). Insgesamt verliefen alle Schwangerschaften problemlos, Gewichtszunahme lag mit 11,1 ± 4,5 kg im Rahmen des Üblichen. Die medikamentöse Behandlung wurde nach Bekanntwerden der Schwangerschaft in fast allen Fällen weitergeführt wie zuvor. Die meisten Frauen nahmen Prednison oder Prednisolon ein, einige Hydrokortison und nur wenige Dexamethason. Interessanterweise musste die Dosis in vielen Fällen nicht oder nur leicht erhöht werden.

Die Geburt erfolgte in 16 der 32 Fälle per Sectio. Eine eindeutige Indikation zur Sectio bestand nur etwa in der Hälfte der 16 Geburten. Von den 32 Geburten erfolgten 30 am Termin nach der 37. Schwangerschaftswoche, 19 Kinder waren weiblich, 13 männlich. Keines der Mädchen zeigte ein auffälliges Genitale. Bei fünf Kindern handelte es sich nach Definition um Mangelgeborene mit einem niedrigen Geburtsgewicht. Die 32 Kinder sind zum jetzigen Zeitpunkt zwischen 2-20 Jahre alt und gesund. Ein jetzt 18-jähriger Junge hat ein nichtklassisches AGS, wurde aber nie behandelt und hat eine Höhe von 172,0 cm erreicht. Alle anderen müssen obligat heterozygot für AGS sein. Ein Mädchen hatte eine prämature Pubarche mit anschließend normaler Pubertätsentwicklung und Menarche im Alter von 13,5 Jahren.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Fertilität bei Frauen mit AGS sicher eingeschränkt ist. Es ist auffallend, dass nur zwei Frauen mit einem salzverlierenden AGS unter den Müttern sind. Die meisten Frauen, die schwanger wurden, hatten leichtere Formen des AGS. Falls jedoch eine Schwangerschaft eintritt, verläuft diese in der Regel problemlos. Die medikamentöse Einstellung mit einem Glukokortikoid bietet keine wesentlichen Probleme. Möglicherweise ist die Rate der Mangelgeburten etwas erhöht. Eine Maskulinisierung der neugeborenen Mädchen muss dagegen nicht befürchtet werden, wenn die medikamentöse Einstellung der Mutter stimmig ist. Die postnatale Entwicklung der Kinder scheint sowohl somatisch als auch psychisch normal. Schwangerschaften bei Patientinnen mit AGS sollten geplant werden. Der Ehepartner sollte auf das Vorliegen einer Heterozygotie für AGS untersucht werden. Falls der Ehepartner heterozygot für AGS ist, beträgt das Risiko 50 %, dass ein Kind ein nichtklassisches oder klassisches AGS bekommt. Bei solchen Schwangerschaften kann eine pränatale Therapie mit Dexamethason diskutiert werden.

Prof. Dr. med. H.P. Schwarz, 
Dr. v. Haunersches Kinderspital, München