Fachwissen

An ounce of prevention is better than a pound of treatment:

Möglichkeiten der Vorbeugung in der Kinder- und Jugendgynäkologie (I)

Prof. em. Dr. med. Ch. Lauritzen, Ulm

aus korasion Nr. 4, Dezember 1999

In den hoch entwickelten Ländern des Westens werden immer weniger Kinder geboren. Die Geburtenrate liegt weit unter der Sterberate. Kinder und Jugendliche machen nur 19 % der Bevölkerung aus. Die wenigen Kinder, die zur Welt kommen, sind daher für die Eltern, den Staat und die Gesellschaft um so wichtiger und kostbarer.
Die Eltern, die sich zur Schwangerschaft und zur Aufzucht von Kindern entschließen, wünschen deshalb auch mit verständlichem Nachdruck, dass in Gravidität, Kindheit und Jugend soweit wie möglich jedes Gefährdungsrisiko durch eine lückenlose und wirksame ärztliche Versorgung ausgeschlossen werde. Gynäkologie und Geburtshilfe bemühen sich nach Kräften, diesem berechtigten Wunsch soweit wie möglich nachzukommen.

Was in der Jugend geschieht oder nicht geschieht, prägt das ganze spätere Leben

Das Fach Kinder- und Jugendgynäkologie bietet mehr als manche andere Sparte der Medizin und der Gynäkologie die besten Möglichkeiten der Prävention von Erkrankungen, die in dieser frühen Lebensphase beginnen oder angelegt werden und diagnostizierbar sind. Verhütbar sind überwiegend solche Erkrankungen, die durch einen falschen, der Gesundheit schädlichen Lebensstil im weitesten Sinne bedingt sind. Ferner ist erreichbar, die später möglichen Folgen früh auftretender organischer und dysfunktioneller Anomalien zu verhüten, wenn sie frühzeitig erkannt werden.

Damit ist klar, dass Verhütung in diesem Zusammenhang Aufklärung der Eltern und - womöglich und für das Alter angemessen - auch der Kinder erforderlich macht. Leider bedeutet aber die Aufklärung über und das Wissen um Zusammenhänge von Ursache und Konsequenzen einer Erkrankung noch nicht, dass die sich zwingend ergebenden Schlussfolgerungen von den Betroffenen auch wirklich gezogen und vollzogen werden. Das heißt, dass von den zuständigen Ärzten mit der notwendigen, gut verständlichen Aufklärung auch Überzeugung, Einsicht, Erziehung, motivierende Anreize und praktisch leicht durchführbare Maßnahmen angeboten werden müssen.

Dies ist eine Bringschuld der Ärzteschaft, insbesondere der Kinder- und Jugendgynäkologie, wobei die Mithilfe der Medien (Jugendzeitschriften, Broschüren, Fernsehsendungen, Internet), der Schulen und der Gesundheitsbehörden, der Krankenkassen und des Staates unverzichtbar ist, wenn ein nachweisbarer Erfolg durch die Realisierung praktisch möglicher Präventionsmaßnahmen erzielt werden soll.
Für die Kinder- und Jugendgynäkologie gilt, wie übrigens auch für die Gynäkologie und die Pädiatrie (ebenso wie für die Medizin insgesamt), dass die reparative Medizin in Zukunft, soweit machbar, durch eine wirksamere und kostengünstigere präventive Medizin ersetzt werden muss

Die neuerdings ergriffenen Initiativen der Ärztekammern zur Propagierung der Prävention und die Veranstaltung ärztlicher Präventionstage stimmen hoffnungsvoll. Die Krankenkassen und der Gesetzgeber müssen freilich von der Effektivität, der Nützlichkeit und der Kostengünstigkeit der Prävention noch nachhaltiger überzeugt werden.

Da der Verfasser dieser Zusammenstellung Gynäkologe ist, befasst er sich ausschließlich mit der Prävention beim weiblichen Geschlecht. Vorbeugung ist selbstverständlich aber auch bei Knaben und jungen Männern in gleicher Weise wichtig und möglich.

Vollständigkeit wurde nicht angestrebt. Es lag dem Verfasser vielmehr daran, einige bisher der Allgemeinheit weniger geläufige Problemfelder mit hoher, aber leider noch unausgeschöpfter präventiver Kapazität der allgemeinen Aufmerksamkeit näherzubringen und eine wirksame Vorbeugung in Gang zu setzen.

Unter den verschiedenen Überschriften kommt es zwangsläufig zu gelegentlichen Wiederholungen, die aber hoffentlich das Erinnern wichtiger Gesichtspunkte und Fakten verbessern und den Eindruck des Gesagten vertiefen werden.

Empfehlungen zu präventiven körperlichen Untersuchungen

“Ein Mädchen sollte unabhängig vom Lebensalter ärztlichen Rat dann suchen, wenn es Beschwerden im Bereiche der Geschlechtsorgane hat.” So lautet die Empfehlung des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendgynäkologie. Inspektion und abdominale Ultraschalluntersuchung sind in diesem Fall meist ausreichend. Eine vaginale Spekulumeinstellung und eine vaginale oder rektovaginale Untersuchung sind im allgemeinen nicht erforderlich und nur bei vermuteten Genitalanomalien, Pubertas praecox, suspekten vaginalen Blutungen oder auffälligem Fluor und bei sexuellem Missbrauch zu erwägen. Dem bei dieser Gelegenheit stattfindenden Gespräch kommt ein hoher Stellenwert für das künftige Verhältnis zwischen der Klientin und den Ärzten zu.

Unseres Erachtens wäre eine generelle Untersuchung aller Kinder in der Pubertät durch einen in der Kinder- und Jugendgynäkologie kundigen, von Amts wegen bestellten Arzt oder Amtsarzt wünschenswert, nämlich deshalb, weil nach Untersuchungen von Kinderärzten tatsächlich jedes fünfte Kind dieses Alters einen krankhaften Befund bietet.

Eine grobe Überprüfung der genitalen Normalität ist ja bei den vorgeschriebenen Neugeborenenuntersuchungen möglich. Seit einigen Jahren wird zusätzlich eine funktionelle und ultrasonographische Untersuchung der Hüftgelenke vorgenommen, um eine frühzeitige Behandlung einer Hüftluxation zu ermöglichen.

Ein sehr wichtiges Kriterium für Normalität zwischen dem 8. und 14. Lebensjahr ist der zeitliche Eintritt und der Ablauf der pubertären Entwicklung. Brustknospe und Schambehaarung entwickeln sich zwischen dem 9. bis 13. Lebensjahr. Zu diesem Zeitpunkt ist bei der Hälfte der Mädchen die Menarche eingetreten. Es empfiehlt sich also - unter Berücksichtigung der normalen biologischen Schwankungsbreite - eine erste orientierende Untersuchung spätestens im 15. Lebensjahr vorzunehmen. Dabei ist zusätzlich auf die Körpergröße (Zeitpunkt und Ausmaß des Wachstumsschubs), ferner auf Fehlbildungen, Akne, Seborrhoe, Behaarungsanomalien und den Gesamteindruck zu achten. Falls erforderlich, werden weitere Untersuchungen und spätere Kontrollen oder Gespräche verabredet.

Die Aufnahme des Geschlechtsverkehrs und die möglichst vorher, aber spätestens zu diesem Zeitpunkt wünschenswerte Beratung über eine geeignete Empfängnisverhütung ist die zweite große Chance für eine ausführliche und umfassende ärztliche Aufklärung des jungen Mädchens.

Die anonymisierte Beratung durch eine professionell kompetente Gruppe wie beispielsweise in der “First Love Ambulanz für Teenager” (Wien) oder im “Laden” (Stuttgart) bzw. durch die “Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheit der Frau e. V.” scheinen richtungsweisend. Moderne, qualifizierte Aufklärung ist etwa aber auch mit Computerdisketten (z. B. “Lovely Disk”, Organon) möglich. Auch sei auf die Informationsblätter Nr. 4, 12 und 15 der Zeitschrift “Der Frauenarzt” über den ersten Besuch beim Frauenarzt und die Sprechstunde für Teenager verwiesen.

Verhütung von sexuellem Missbrauch

Der sexuelle Missbrauch ist die schlimmste Verletzung, die einem Kind seelisch und körperlich geschehen kann. Dies gilt noch verstärkt, wenn der Missbrauch innerhalb der Familie geschieht.

Leider werden Jugendliche täglich mit Aggressivität und sexueller Gewalt im Fernsehen konfrontiert. Gewalt wird ihnen immer wieder als eine Möglichkeit der Problemlösung demonstriert. Da die Jugendlichen durch Vorbilder, durch Nachmachen und Ausprobieren lernen, muss dafür gesorgt werden, dass die Gewaltdarstellung nicht dem Kommerz und dem Mechanismus des Marktes überlassen bleibt (Kongress über sexuelle Gewalt, Münster, 1999). In der Erziehung gegen Gewalt müssen auch die Schulen aktiver werden, denn von der Gewalt gegen Sachen bis zur Gewalt gegen Menschen ist es nur ein kleiner Schritt.

Die Sensibilisierung und die stete Aufmerksamkeit der Eltern und der Umgebung (Nachbarn, Freunde) sowie die vorsichtige, altersgerechte erzieherische Instruktion der Kinder, begleitet von strikten Verboten, sich in bestimmte Situationen zu begeben, ist leider die einzige Möglichkeit, sexuellen Missbrauch zu verhindern. Das dem Missbrauch förderliche Umfeld (Pornographie, Internet, Forderung nach Kindersexualität) muss mit aller Härte bekämpft und jede erwiesene Verfehlung streng und möglichst mit definitivem Ergebnis (psychotherapeutische und hormonale Behandlung bis hin zur Sicherheitsverwahrung) geahndet werden.

Verwiesen sei auf das Faltblatt zum Thema “Sexueller Missbrauch” der Ärztekammer Westfalen-Lippe in Münster (Kontakt: posteingang@noSpam.aekwl.de). Darin wird auch auf vorbeugende Maßnahmen und die vorhandenen Beratungsstellen aufmerksam gemacht. Ferner ist die Lektüre des Buches “Auftrag Prävention - Offensive gegen sexuellen Kindesmißbrauch”, herausgegeben von Höfling, Drewes, Epple-Waigel, Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München, zu empfehlen. Durch Experten ausführlich abgehandelt werden die Situation der Opfer, die Möglichkeiten der Vorbeugung, das Profil der Täter und die Rolle der Medien.

Sexualaufklärung und Schwangerschaftsverhütung

Den ersten Geschlechtsverkehr erleben junge Mädchen und junge Männer immer früher. Jeder zehnte Jugendliche hat bereits mit 14 Jahren das erste intime sexuelle Erlebnis gehabt. Mit 16 Jahren sind es bereits 45 % der Mädchen (Berufsverband der Frauenärzte; Frauenarzt 40 (1999), 488-489). In jedem Jahr werden in Deutschland etwa 150 Mädchen schwanger, die 14 Jahre und jünger sind. Fast immer entscheidet man sich für den Abbruch der Schwangerschaft.

Eine unzeitige und daher unerwünschte Schwangerschaft im jugendlichen Alter bedeutet - in Bezug auf die Entscheidung für die Abruptio und was den Eingriff selbst betrifft - für das junge Mädchen fast immer ein schwer zu verarbeitendes seelisches Trauma. Es gibt Selbstvorwürfe, Auseinandersetzungen mit dem Freund und der Familie; oft lässt der Erzeuger des Kindes die werdende Mutter mit ihren Problemen allein. Erfreulicherweise sind Komplikationen nach einem Abbruch mit bleibenden Folgen für die Gesundheit und die spätere Fruchtbarkeit heute außerordentlich selten.

Die vorliegenden Daten zeigen, warum sexuelle Aufklärung im pubertären Alter von allergrößter Bedeutung ist. Sie sollte nicht durch gleichaltrige Jugendliche oder durch negative sexuelle Erlebnisse erworben werden. Die Sexualerziehung sollte vielmehr eine die Zielgruppe aufsuchende, entwicklungsbegleitende präventive Aufklärung durch erfahrene Fachleute sein.

Trägt das Mädchen eine ungeplante, unerwünschte Schwangerschaft aus, so ist das meist eine beträchtliche Belastung für ihre berufliche und soziale Zukunft und für eine neue Partnerschaft.

Die Schwangerschaftsverhütung bei Adoleszentinnen ist daher ein ganz besonders wichtiges Anliegen der Kinder- und Jugendgynäkologie. Schulung der Ärzte, engagierte Aufklärung in Familie, Schule, Jugendgruppen und Medien (Internet, Jugendzeitschriften, Aufklärungsbroschüren, z. B. “Ich werde erwachsen”, “Durchblick”, “Wegweiser”, Unterrichtsprojekt in der Schule, beispielsweise “Empfängnisverhütung”, Zeitbild-Verlag) sowie unkomplizierter Zugang zu Verhütungsmitteln sind erforderlich, um dieses dringliche Problem einer Lösung näherzubringen. Entsprechende, groß angelegte europäische Untersuchungen haben ergeben, dass die Jugendlichen ihre Informationen über Empfängnisverhütung zu knapp 50 % aus den Medien, zu 30 % durch Familienmitglieder, zu 15 % durch Freunde und nur zu 7 % durch Ärzte erhalten. Freilich gibt es bezüglich der Ärzte auch günstigere Ergebnisse aus Deutschland, vor allem aus großen Städten. Immerhin ist aber deutlich, dass die Aufklärung und Beratung durch den Arzt verbessert werden muss

Kondom und “Pille” stehen bei der Verhütung wegen ihrer Sicherheit und Praktikabilität im Vordergrund der Anwendung. Dass die “Pille danach” noch als “Notbremse” nach einer möglichen Befruchtung (postkoitale Kontrazeption, Interzeption) mit hoher Verhütungssicherheit eingenommen werden kann, ist den Jugendlichen jedoch viel zu wenig bekannt (23 %). Diese Hormonkombination ist leider auch zu schwer zugänglich. Zu empfehlen ist in geeigneten Fällen, nach Beratung die “Pille danach” präventiv zu verschreiben. Nach Schätzungen von Experten könnte die Hälfte aller unerwünschten Schwangerschaften durch leichtere Zugänglichkeit der “Pille danach” verhütet werden. Versuche, die “Pille danach” ohne ärztliches Rezept frei zu verkaufen oder sogar in Automaten anzubieten, sind allerdings - wohl mit Recht - gescheitert In den USA wurde von prominenter Stelle (Grimes) ebenfalls die präventive Verschreibung der “Pille danach” empfohlen. Die Gefahr, dass manche Frauen dann nur noch die Notfallkontrazeption verwenden, wurde mit 8 % der Fälle als gering ermittelt. Die oft beschworene Gefahr von Zyklusstörungen durch die Anwendung der “Pille danach” erwies sich als unerheblich. Da es zu der Frage der Adoleszentensexualität und der Kontrazeption bei Jugendlichen genügend kompetente Literatur gibt, mag es bei diesen kurzen Hinweisen bleiben.

Nach den Verlautbarungen der WHO (1999) liegen die Hauptursachen für verhütbare chronische Erkrankungen in falscher Ernährung, Rauchen, Alkoholmissbrauch, Übergewicht und zu wenig Sport.

Bedeutung von Übergewicht und Adipositas

Junge Mädchen und Frauen benötigen eine tägliche Energiezufuhr von etwa 1 800 kcal (1 500 kJ). Diese Kalorien sollten zu 50 bis 60 % in Form von Getreide, Kartoffeln, Gemüse und Obst aufgenommen werden - und zu nicht mehr als 20 bis 30 % in Form von Fett überwiegend pflanzlicher Herkunft.

Der westliche Lebensstil mit seinem Überangebot an raffinierten Kohlenhydraten sowie an Fetten und überhaupt an Kalorien, wobei auch der Alkohol als Kalorienträger eine wichtige Rolle spielt, ist ein wesentlicher krankmachender Faktor im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Die Grundlage für die spätere Manifestierung dieser Krankheitsrisiken wird häufig in Kindheit und Adoleszenz gelegt.

In der Säuglingsperiode reduziert langes Stillen durch die Mutter (über drei bis fünf Monate) die Wahrscheinlichkeit für das Kind, später fettleibig zu werden um 35 %. Dies wird u. a. damit erklärt, dass das Stillen zu einer Erhöhung der Konzentration des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF) und des Tumor-Nekrose-Faktors (TNF) führt, die die Bildung von Fettzellen hemmen. Später spielen die in der Familie üblichen Essgewohnheiten (z. B. Höhe der Kalorienaufnahme, Fett- und Kohlenhydratanteil an der Nahrung) eine entscheidende Rolle für das Gewicht. Daneben ist wohl aber auch eine genetische Disposition von Bedeutung.

Von Adipositas spricht man bei einem Körper-Massen-Index von > 30. Dieser Index wird berechnet aus dem Körpergewicht in kg, geteilt durch das Quadrat der Körpergröße in Metern. Noch wichtiger ist der Quotient aus dem Taillen- und Hüftumfang, der die Fettverteilung umschreibt und bei Mädchen unter 0,8 liegen sollte.
Jeder zweite Deutsche in mittleren Jahren ist übergewichtig. Diese Tendenz nahm in den letzten Jahrzehnten auch bei Kindern deutlich zu, da der Fettanteil an der Nahrung zu hoch ist (z. B. Pommes frites, Hamburger, Schokolade).

Die Adipositas im Kindesalter ist deshalb von Bedeutung, weil die Hälfte aller adipösen Kinder im Erwachsenenalter ebenfalls übergewichtig ist. Die Folgen sind erhöhte Belastungen für Wirbelsäule und Gelenke, vor allem aber Bluthochdruck, Diabetes und eine Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie des allgemeinen Krebsrisikos. Insgesamt ist das Risiko von Adipösen, vorzeitig zu sterben, erheblich erhöht.

Die Kosten der Folgen von Gewichtsanomalien sind beträchtlich. Sie betragen schätzungsweise 7 Milliarden DM/Jahr. Andere Schätzungen belaufen sich auf 30 Milliarden, das sind 7 % (oder mehr) der gesamten Krankheitskosten.

Eine Repräsentativerhebung in der Bundesrepublik Deutschland aus den Jahren 1982/83 ergab, dass 11 % der Kinder übergewichtig und 6 % adipös waren. Vom zweiten Lebensjahr an sollte daher gezielt altersbezogen auf Übergewicht geachtet werden.

In den letzten Jahren hat die Häufigkeit nicht nur des Diabetes mellitus vom Typ I bei Kindern zugenommen, sondern auch der Typ II, der auch als Altersdiabetes bezeichnet wird. Mädchen sind häufiger betroffen als Knaben. Die Patientinnen sind adipös, und bei allen liegt eine familiäre Adipositas- und Diabetes-Belastung vor. Die Kinder weisen eine ausgeprägte Insulinresistenz auf. Die Insulinwerte sind hoch und es besteht meist zugleich eine Dyslipoproteinämie und eine Hypertonie. Damit manifestiert sich bei unserer Jugend eine weitere, schwerwiegende Folge jugendlicher Adipositas, die wegen ihrer Bedeutung für die Gesundheit im Erwachsenenalter und wegen der sonst reduzierten Lebenserwartung unbedingt früh erkannt und behandelt werden muss

Die einzige einfach Maßnahme bei Adipositas, die im Experiment eine Lebensverlängerung bewirkt, ist die Kalorienreduktion. Nur selten sind - wie von den Eltern meist vermutet - genetische oder endokrine Ursachen primär für eine Adipositas verantwortlich. Die allzu reichliche Kalorienzufuhr in Form von Fetten und Kohlenhydraten und der fehlende Energieabbau aufgrund mangelnder körperlicher Betätigung oder Bewegung (u. a. auch Computerspiele, Fernsehen) sind für eine übermäßige Gewichtszunahme hauptsächlich verantwortlich.

Adipositas geht überzufällig häufig mit Unfruchtbarkeit einher. Nach signifikanter Gewichtsreduktion hingegen werden über 70 % aller bis dahin trotz Versuchs nicht konzipierenden Frauen schwanger.

30 % der Krebserkrankungen müssen auf falsche Ernährung zurückgeführt werden (Verlautbarung des Deutschen Krebsforschungszentrums, 1999).

Eine britische Studie mit 4 000 Personen, deren Essverhalten zwischen 1937 und 1939 festgehalten worden war, ergab nach 60 Jahren: Wer als Kind zu viel isst und dadurch Übergewicht entwickelt, hat im Erwachsenenalter ein um 20 % gesteigertes allgemeines Krebsrisiko. Solche Frauen entwickeln bevorzugt Brust-, Gebärmutter-, Eierstock- und Dickdarmkrebse. Dadurch steigt die vorzeitige Sterblichkeit deutlich und ganz unnötig an. Infolge der hohen Energiezufuhr kommt es nämlich zu einer übermäßigen Anregung des Zellwachstums mit Störungen im Zusammenspiel der kontrollierenden Wachstumsregulatoren, wodurch die Wirksamkeit karzinogener Zellgifte und das Risiko für krebsauslösende Zellveränderungen erhöht wird.

In der Pubertät und Adoleszenz, also in der Phase raschen Wachstums und hoher Zellteilungsraten in der Brust, ist die Zufuhr hochkalorischer Nahrung, insbesondere von Kohenhydraten (zu viel Süßigkeiten, Fast food und Softdrinks) erwiesenermaßen von besonders deutlicher Schädlichkeit.

Die vorliegenden Erhebungen über die Ernährungsgewohnheiten junger Leute zeigen einen bedenklichen Grad von Fehlernährung und überkalorischer Nahrungszufuhr. diese falsche Ernährung kann, verstärkt durch familiäre bzw. metabolische Veranlagung, zu einer frühzeitigen Entwicklung von Stoffwechselstörungen wie Osteoporose, Diabetes mellitus, Hypertonie und Atherosklerose mit ihren Spätfolgen, nämlich Knochenfrakturen, Herzinfarkt und Schlaganfall im Erwachsenenalter führen. Absehbare Folgen sind frühzeitige Invalidität und vorzeitiger Tod an Komplikationen der genannten Erkrankungen. Entsprechende Untersuchungen haben gezeigt, dass man mit verschiedenen Kostformen den Stoffwechsel (z. B. Insulinspiegel, Cholesterinkonzentration) und die Sekretion von männlichen und weiblichen Hormonen beeinflussen kann.

Auf dem Felde einer gesundheitsdienlichen Ernährung hat die pädiatrische Gynäkologie eine wichtige, noch lange nicht erkannte Aufgabe: Sie soll den Lebens- und Ernährungsstil über die o. g. Unterrichtung und Motivation der Eltern und der Jugendlichen und durch vernünftige Medienunterrichtung schon in der Jugend beeinflussen. Dazu ist es grundlegend erforderlich, dass der Arzt künftig schon im Studium und in der Weiter- und Fortbildung die entsprechende Beratungskompetenz erwirbt, mit der allein er wirksame Überzeugungsarbeit bei den Eltern, Erziehern und den Jugendlichen leisten kann. Es ist leider sicher, dass dieser Wandel nicht leicht zu erreichen sein wird.

Muss bei Zyklusstörungen in der Adoleszenz behandelt werden?

Eine Oligomenorrhoe mit Anovulationen ist in den ersten drei Jahren nach der Menarche als normal anzusehen. Bei danach verbleibenden verlängerten Zyklen ist eine vorsichtige Diagnostik als Grundlage einer früh einzuleitenden Therapie angezeigt.

Die primäre Amenorrhoe ist meist organisch durch Anomalien der Gonaden oder Genitalorgane bedingt. Sie muss frühzeitig (bis zum 14. Lebensjahr) abgeklärt werden. Die sekundäre Amenorrhoe und die übrigen Menstruationsstörungen (meist Regeltypusstörungen) sind überwiegend dysfunktionell verursacht. Sie sind - nach Scheidenentzündungen - der zweithäufigste Anlass, die kindergynäkologische Sprechstunde aufzusuchen. Ursache sind meist entwicklungsbedingte, überwiegend psychogen mitbedingte Rückkopplungsstörungen zwischen den Regelzentren und den Gonaden. Bei dieser Indikation ist die Analyse der Ursachen hilfreich, z. B. die Aufdeckung von Problemen im Elternhaus oder mit der beginnenden Sexualität. Länger als ein halbes Jahr sollte eine Jugendliche mit sekundärer Amenorrhoe nicht unbehandelt bleiben.

Adipositas führt zu einer erhöhten Rate an Zyklusanomalien bis hin zur Amenorrhoe. Eine vernünftige Umstellung der Kost mit Kalorieneinschränkung ist oft geeignet, Hormonproduktion und -stoffwechsel günstig zu beeinflussen. Durch rein diätetische Beratung kann somit die Normalität des Zyklus nicht selten wieder hergestellt werden. Diese Maßnahme gehört beispielsweise beim PCO-Syndrom (Stein-Leventhal) zur Grundbehandlung.

Aber auch Untergewicht, oft bedingt durch eine anorektische Reaktion oder eine Anorexie-Bulimie, bewirkt bei Fortschreiten das Auftreten einer Amenorrhoe. Sie tritt bei entsprechender Reduktion des Fettgewebes (unter 18 % der Gesamtkörperzusammensetzung) ein, da das Fettgewebe ja unter anderem der Umwandlung von Androgenen in Ösrogene dient. Neuere Forschungen haben in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit auf Störungen des Fettgewebe-Insulin-Leptinstoffwechsels und des endokrinen hypothalamisch-hypophysären Gleichgewichts gelenkt.

Eine zu hohe körperliche und psychische Belastung durch Training, Wettkampf oder Ausdauersport führt in bis zu 40 % der Fälle bei jungen Mädchen zu Zyklusstörungen. Diese entwickeln sich kontinuierlich in Abhängigkeit von dem Grad der Belastung von der Gelbkörperinsuffizienz über die Anovulation bis hin zu Hypoöstrogenämie und Amenorrhoe. Auch bei der körperlichen und seelischen Überbeanspruchung durch Training besteht öfter eine Verbindung zur Magersucht.

Freilich zeigen die jungen Mädchen mit nur vorübergehender Anorexie oder anorektischer Reaktion in ihrem späteren Leben meist normale Zyklen und werden ohne besondere Probleme schwanger, so dass man sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen braucht.

Bei diesen Störungen bedarf es demnach der moderierenden Beratung des jungen Mädchens durch einen kundigen Arzt mit Kenntnissen in der Sportmedizin und der Psychotherapie. Es gilt, dem Mädchen und den Eltern die ursächlichen Zusammenhänge verständlich zu machen und rasch eine wirksame Behandlung zu beginnen, damit die Zeit der Nichtbehandlung und der Amenorrhoe nicht zu lange dauert.

Andererseits hat eine vernünftige sportliche Betätigung wegen der günstigen Einflüsse auf Gewicht, Lipide, Stoffwechsel und Organdurchblutung viele Vorteile. Sie verringert erwiesenermaßen u. a. die allgemeine Krebshäufigkeit.

Bei Nachuntersuchungen nach Zyklusstörungen im Adoleszentinnenalter fand sich 15 Jahre später, dass in 23 % der Fälle Sterilität bestand. 26 % der Frauen hatten weiterhin schwer beeinflussbare Zyklusstörungen, bei 15 % hatte sich ein PCOS entwickelt. Diese Zahlen liegen deutlich über den Vergleichszahlen von Mädchen mit normalen Zyklen bald nach der Menarche und in der Adoleszenz.

Wegen der möglichen Spätfolgen sollte bei Zyklusstörungen im Jugendalter frühzeitig untersucht und ursächlich behandelt werden, gegebenenfalls unter Einbeziehung psychotherapeutischer Maßnahmen. Ein Psychotherapeut sollte mindestens aber beratend und überwachend präsent sein, vor allem, um die Entwicklung psychischer Störungen abzufangen, die bei den betroffenen Mädchen durch ihr Anderssein gegenüber Gleichaltrigen entstehen können. Dies gilt wegen der Gefahr bleibender psychischer Störungen insbesondere für die bereits mehrfach genannte anorektische Reaktion und die Anorexie-Bulimie.

Einer der Risikofaktoren für später entstehende Endometrium- und Mammakarzinome sind Zyklen mit fehlender Lutealphase oder Insuffizienz des Gelbkörpers. Auch bei der hyperandrogenen Amenorrhoe ist eine frühzeitige und fortgesetzte Verabfolgung von Östradiol und Antiandrogen bis zum Zeitpunkt der Planung einer möglichst frühzeitigen Schwangerschaft erforderlich. Eine früh einsetzende Behandlung ist aber auch schon deshalb wünschenswert, weil die organischen und funktionellen Veränderungen der Ovarien und die kosmetischen und psychologischen folgen, nämlich der Hirsutismus mit Seborrhoe, Haarausfall und Akne die betroffenen Mädchen psychisch stark beeinträchtigen können. Die ovariellen Veränderungen und die Symptomatik neigen nämlich zur Progredienz und gehen häufig - zur Adoleszenz und zum frühen Frauenalter hin - mit zunehmenden schweren Selbstwertproblemen einher.

Die ältere Auffassung, dass man bei Zyklusstörungen abwarten könne und solle, mit dem Argument, “die Natur werde schon alles richten”, ist falsch. Eine verspätete Menarche und Amenorrhoe-Episoden, die länger als ein halbes Jahr andauern, führen - neben unerwünschten psychischen Fixierungen - regelmäßig zu einem Verlust an Knochenmasse (Osteopenie, siehe unter Osteoporose), der, wenn er höhere Grade (> 8 bis 10 %) erreicht, schwer reversibel sein und zu unerwarteten Spontanfrakturen bei frühzeitiger Osteoporose führen kann. Auswirkungen auf die Organfunktionen und das Atherosklerose-Risiko bei Amenorrhoe und schweren Zyklusstörungen sind bisher noch zu wenig untersucht.

Bei länger, über ein halbes Jahr dauernder Amenorrhoe ist immer, falls der Zyklus durch andere Maßnahmen nicht in Gang zu bringen und zu normalisieren ist, eine Substitution mit einem Östrogen-Gestagen-Sequenzpräparat bis zum Eintritt des Erfolges erforderlich. Zu empfehlen ist demnach, halbjährlich die Hormonsubstitution für sechs bis acht Wochen zu unterbrechen, um zu kontrollieren, ob nicht eine spontane Zyklusregulierung eingetreten ist.

Ist eine Empfängnisverhütung nötig, so können niedrig dosierte hormonale Kontrazeptiva ohne Nachteil für die spätere Zyklusentwicklung und spätere Schwangerschaften verabfolgt werden.

Schließlich sei erwähnt, dass eine lang dauernde Anovulation oder Lutealinsuffizienz - sofern nicht behandelt wird - einen Risikofaktor für die Entstehung von Mastopathie und prämenstruellem Syndrom sowie für das Entstehen von Endometrium- und Mammakarzinomen darstellt. Das relative Risiko beträgt 1,3.

Dysmenorrhoe, Prävention und Früherkennung der Endometriose

Die Dysmenorrhoe junger Mädchen hat man früher oft durch eine Hypoplasie des Uterus oder durch Lageanomalien der Gebärmutter zu erklären versucht. Solche Befunde scheinen aber keine wesentliche kausale Bedeutung zu haben. Uterusfehlbildungen sind als Ursache selten.

Man weiß heute, dass die Prostaglandinkonzentration in Endometrium und Myometrium eine ausschlaggebende Rolle für das Beschwerdesyndrom spielt. Es ist aber vermutlich auch richtig, dass manche Mädchen das menstruelle Verhalten ihrer Mütter nachahmen, einschließlich der dysmenorrhoischen Beschwerden.

Die dysfunktionelle Dysmenorrhoe findet man überwiegend bei normalen oder annähernd normalen ovulatorischen Zyklen. Deshalb sind Ovulationshemmer gegen Dysmenorrhoe meist gut wirksam.

Man muss jedoch bei primärer oder sekundärer Dysmenorrhoe auch bei Jugendlichen an das Vorliegen einer Endometriose denken. Diese sollte so früh wie möglich diagnostiziert werden, um frühzeitig genug behandeln zu können, ehe sich irreversible Veränderungen mit Sterilitätsfolge einstellen. Immerhin beträgt die Häufigkeit der Endometriose bei wegen unklarer Unterbauchbeschwerden pelviskopierten adoleszenten Mädchen 35 %.

Die Behandlung bei fortgeschrittener Endometriose verursacht oft erhebliche Kosten. Nicht zuletzt werden öfter reproduktionsmedizinische Eingriffe erforderlich. Auch aus diesem Grunde ist die Prävention von Bedeutung.

Offensichtlich hat die kontrazeptive “Pille” einen präventiven Effekt auf die Endometriose, denn die Inzidenz dieser Erkrankung ist bei “Pillen”-Benutzerinnen um 60 % reduziert. Die Einnahmedauer hat dabei keinen wesentlichen Einfluss auf die Häufigkeit. Nach Absetzen der “Pille” nimmt die Häufigkeit der Endometriose jedoch wieder zu.

Verfasser:

Prof. em. Dr. med. Ch. Lauritzen