Fachwissen

Aus den Universitäten

aus korasion Nr. 4, Dezember 2000

Körperkonfrontation:
Lässt sich die Magersucht mit Körpertherapien bekämpfen?

Berichterstatter: Dr. Wolfgang Mathias

Magersüchtige haben meist das Gespür für ihren Körper und seine Bedürfnisse verloren. Ist die Krankheit chronisch, so erweist sie sich häufig auch im Rahmen einer Bewegungstherapie als unbeeinflussbar. Doch lassen sich mit einer Bewegungstherapie bei weniger schwer Erkrankten einige Erfolge erzielen: Sie nehmen stärker an Gewicht zu, beschäftigen sich gedanklich weniger mit dem Essen und überwinden ihre Depression besser. Ganz abgesehen davon empfinden alle (!) Patientinnen - auch die chronisch Kranken - die Bewegungstherapie subjektiv als besonders wohltuend. Sie favorisieren sie gegenüber vielen anderen Therapiemaßnahmen. Zu diesem Ergebnis gelangte Dr. Ralf Müller von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität zu Köln aufgrund einer diesbezüglichen Studie.

Der Mediziner interviewte eine Gruppe von zehn stationär behandelten Patientinnen im Alter von 14 bis 17 Jahren. Er befragte sie zu ihren Essgewohnheiten, ihrer seelischen Verfassung, ihren körperlichen Beschwerden und der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die Betroffenen weisen, R. Müller zufolge, eine für Magersüchtige typische Symptomatik auf. Die Gedanken der Patientinnen kreisen ständig ums Essen, während sie sich mit Diäten, Abführmitteln und Brechanfällen selbst kasteien. Oft umfängt sie eine tiefe Depression. Die Signale ihres Körpers wie z.B. Hungergefühle nehmen sie nicht mehr richtig wahr oder ignorieren sie. Dabei verleugnen sie den Zustand der körperlichen Auszehrung ebenso beharrlich wie die seelischen Konflikte, die ihrer Krankheit zugrunde liegen.

Intelligent und fleißig, jedoch unselbständig, introvertiert, überangepasst und unsicher im sozialen Umgang, ist es um das Selbstvertrauen der Betroffenen häufig schlecht bestellt. Dies drückt sich - laut R. Müller - vor allem in ihrem negativen Körperbild aus, was nicht allzu verwunderlich ist, da Schönheit für Frauen häufig immer noch gleichbedeutend mit sozialer Anerkennung ist. Die Patientinnen empfinden sich stets als zu dick, gleichgültig, auf welches Gewicht sie sich schon heruntergehungert haben. Das Schlankheitsideal unserer heutigen Zeit trägt sein übriges dazu bei, doch scheint ein Konglomerat verschiedener anderer Faktoren für die Entstehung der Magersucht verantwortlich zu sein. Dazu zählen Probleme in der Eltern-Kind-Beziehung, seelische Belastungen, aber auch biologische und genetische Einflüsse.

Im Rahmen der Bewegungstherapie gilt es nach R. Müller, den Betroffenen wieder ein Gefühl für den eigenen Körper zu vermitteln. Sowohl körperliche als auch psychische und soziale Kompetenzen sollen auf diese Weise gefördert werden. Vorwiegend geht es um die Stärkung des Selbstvertrauens, der Autonomie und der allgemeinen Leistungsfähigkeit. Die Patientinnen sollen überdies aus ihrer sozialen Isolation befreit werden.

In Einzelübungen und in der Gruppe erproben die Patientinnen schrittweise die Möglichkeiten ihres Körpers. Übungen, bei denen es darum geht, den eigenen Körper zu erspüren oder sich bewusst im Raum zu bewegen, stehen dabei ebenso auf dem Programm wie Partnerübungen, das Training an einfachen Geräten sowie Fitness- und Gymnastikeinheiten. Daneben kommt Entspannungstechniken wie z.B. der "Reise durch den eigenen Körper" große Bedeutung zu.

In der Patientinnengunst stehen solche Übungen weit über dem Gruppengespräch oder der Musiktherapie. Das einzige Therapieelement, das eine ähnlich positive Resonanz erfährt, ist den Befragungen nach das Einzelgespräch.

Im Laufe der Therapie reduzieren sich die körperlichen Beschwerden bei den Betroffenen zunehmend. Darüber hinaus beschäftigen sie sich gedanklich weniger mit dem Essen. Mit zunehmendem Gewicht schwinden die Depressionen. Doch obgleich im Rahmen der Therapie eine größere Vertrautheit mit dem eigenen Körper aufgebaut wird, bleibt die Unzufriedenheit mit den eigenen Körperdimensionen bei nahezu allen Betroffenen bestehen. Das Gefühl, zu dick zu sein, steigt überproportional zum Gewicht sogar an. Die Körperbildstörung ist - als wichtiger Krankheitsfaktor - also überaus konstant.

Kindesmißbrauch:
Je jünger die Opfer, desto häufiger der Missbrauch

Berichterstatter: Dr. Wolfgang Mathias

In Familien, in denen die Kinder nicht bei beiden leiblichen Eltern leben, kommt es häufiger zum Kindesmißbrauch. Mädchen sind mehr als doppelt so stark gefährdet wie Jungen. Auch das Miteinander mit Adoptiv- oder Halbbrüdern steigert das Missbrauchsrisiko für Mädchen. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Dr. med. Katharina-Susann Müller von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln.

Bei der Befragung stellte sich heraus, dass ca. 80% der betroffenen Mädchen und nur 40% der Jungen ihre Erlebnisse den Eltern oder anderen mitteilten. Zudem kam es nur in jedem fünften mitgeteilten Fall zu einer Meldung bei offiziellen Stellen wie Polizei oder Jugendamt. Nur in zwei von 138 Fällen hatte der Missbrauch des Kindes auch Konsequenzen für den Täter.

In der Studie wurden etwa eintausend 18- bis 20jährige Männer und Frauen an verschiedenen Kölner Fakultäten und Berufsschulen befragt. Unter den Begriff des Missbrauchs fasste die Psychologin Fälle, bei denen die Altersdifferenz zwischen den Beteiligten mindestens fünf Jahre ausmachte und das Opfer nicht älter als 14 Jahre alt war. Weitere Kriterien waren, dass psychischer Druck oder körperliche Gewalt angewandt wurden und dass aufgrund des Vorfalls psychische Störungen auftraten.

Der Fragenkatalog umfasste detaillierte Fragen zur eigenen Person sowie Fragen zur Familie und deren sozialer und wirtschaftlicher Lage. Des weiteren waren die Ausbildungs- und Berufssituation der Eltern und die Gewohnheiten des körperlichen Umgangs innerhalb der Familie Gegenstand der Fragen.

Mehr als 20 % der befragten Frauen wurden vor ihrem 14. Lebensjahr sexuell missbraucht. Bei den Männern waren es knapp über 8 %. Jedes zweite weibliche Opfer musste körperlichen Missbrauch über sich ergehen lassen, die anderen mussten verbale Belästigungen, exhibitionistische Darstellungen oder pornographische Filme ertragen.

Bei zwei Dritteln der weiblichen Opfer kam es zu körperlicher Gewaltausübung oder psychischem Druck, bei den männlichen Opfern nur bei einem Viertel: Sowohl physischer als auch psychischer Druck hinterlässt bei den Opfern bleibende Störungen.

Für Mädchen wie für Jungen gilt gleichermaßen, dass mit zunehmender Nähe zum Täter auch der Missbrauch schwerwiegender wird. Während Mädchen fast ausschließlich von männlichen Tätern missbraucht werden, werden Jungen immerhin zu einem Drittel auch von Frauen missbraucht

Opfer sexuellen Missbrauchs werden Kinder vor allem im Alter von zehn Jahren. Sind die Opfer jünger als zehn Jahre, so werden sie häufiger von Familienmitgliedern als von Außenstehenden missbraucht. Zudem findet dann oft auch ein wiederholter Missbrauch statt. Dieser tritt ebenso häufig auf wie einmalige Übergriffe.

Große Unterschiede fand die Kölner Ärztin hinsichtlich der Bereitschaft, sich mitzuteilen. Immerhin vier von fünf missbrauchten Mädchen teilten das Erlebte ihren Eltern oder Freunden und Bekannten mit. Hingegen berichteten nur halb so viele Jungen über den erfolgten Missbrauch. Dabei spielt vor allem falsch verstandene Männlichkeit und ein stärkeres Schamgefühl eine Rolle, aber auch die fehlende Existenz eines geeigneten Ansprechpartners.

Zudem berichten die Opfer nur zu einem geringen Teil direkt von ihrer Erfahrung. Oft wird damit ein halbes oder gar ein ganzes Jahr gewartet. Offizielle Meldungen oder Konsequenzen für den Täter erfolgen in diesen Fällen zumeist nicht mehr.

Im Hinblick auf das soziale Umfeld der Familie lassen sich keine großen Unterschiede in der Häufigkeit der Vorfälle erkennen. Die Wahrscheinlichkeit des Missbrauchs scheint nicht mit der Schulbildung der Eltern oder deren Berufsausübung zusammenzuhängen. Ebenfalls ohne Zusammenhang zum Kindesmißbrauch ist, ob die Mutter als Hausfrau im wesentlichen zu Hause ist oder ob sie berufstätig ist.