Fachwissen

“Willkommen im Club der Frauen”

Beratungsbedarf junger Mädchen zu Beginn der Pubertät

aus korasion Nr. 1, Februar 2000

Dr. med. Christine Klapp
ÄGGF e. V., Charité, Frauenklinik
Humboldt Universität Berlin

“Jedes Jahr werden 10 000 Minderjährige schwanger.” - Meldungen wie diese beunruhigen Eltern, und die neuesten Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs belegen, dass Aufklärung zwar möglicherweise zu spät, aber kaum zu früh stattfinden kann.
Präventive Arbeit mit Jugendlichen zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften und sexuell übertragbarer Krankheiten greift zu kurz, wenn man Zehnjährige etwa ein Kondom probatorisch über einen Besenstiel oder eine Banane ziehen lässt oder ihnen die Wirkungsweise der Hormone zu erklären versucht. Erst wenn Mädchen die Veränderungen ihres Körpers verstehen, ihren Potenzzuwachs “Fruchtbarkeit” schätzenlernen und sich und ihren Körper für schützenswert erachten, werden sie Schutz für sich auch bei ihrem Partner einfordern.

Wo ist das Hymen lokalisiert?

Wir Ärztinnen von der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e. V. (ÄGGF e. V.) versuchen bei der gesundheitlichen Aufklärung junger Mädchen Hilfestellung zu leisten. Im Rahmen aufsuchender, entwicklungsbegleitender Prävention bietet unsere Arbeitsgruppe in Berlin in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und der Senatsschulverwaltung mehr als 7 000 Schülerinnen pro Jahr Information und Beratung als Ergänzung zum schulischen Sexualkundeunterricht an. Ein Schwerpunkt liegt bei den Zehn- bis Dreizehnjährigen (in Berlin: 5./6. Klasse der Grundschule), die in den ersten Phasen der Pubertät und im Vorfeld sexueller Erfahrungen äußerst sensibel, aufgeschlossen und lernbegierig nach Orientierung suchen. Zwar haben Kinder und Jugendliche heute Zugang zu Informationen in ungeahntem Ausmaß, wir stellen aber immer wieder fest, wie wenig Konkretes, subjektiv Wichtiges verstanden und gewusst wird.

Bei unserer Arbeit stützen wir uns auf unsere berufliche Kompetenz und beachten gesundheitspsychologische Erkenntnisse. Im folgenden soll aber unter Verzicht auf die Darstellung theoretischer Grundlagen und Bezüge das Vorgehen bei einer “Arztstunde” im Klassenverband skizziert werden. Aufgrund der Interessenlage der Zehn- bis Dreizehnjährigen geht es in unseren Gesprächen um Pubertätsveränderungen bzw. Menarche, allgemeine Körperhygiene und Genitalhygiene, Fruchtbarkeit und Jugendsexualität. Wir orientieren uns an den Fragen, und die sind ganz einfach: Wann spätestens muss/wann frühestens darf die Pubertät beginnen? Was kommt zuerst: die Schamhaare oder die Brustentwicklung? Die Brust fühlt sich zu Beginn an wie eine kleine Murmel, tut manchmal bei Berührung weh - wenn man daran stößt, bekommt man davon keinen Brustkrebs?

Die Seitendifferenzen bei der Brustentwicklung geben Anlass zur Beunruhigung. In unseren Antworten, die ja im Klassenverband nur allgemein gehalten sein können, betonen wir die Bedeutung der Individualität und die zeitlichen Dissoziationen der Entwicklungszeichen.
Zum Schambereich wird meist nur indirekt gefragt. Die Existenz von drei Öffnungen wird von vielen mit Staunen registriert, manche vermuten “da unten” so etwas wie eine Kloake. Typisch für diese Wissenslücke ist die Frage, ob Tampons vor dem Wasserlassen herausgenommen werden müssen. Über die Existenz und die Bedeutung der Klitoris wird im Biologieunterricht nicht selten hinweggegangen, wirft das Thema doch oft auch Fragen zur Selbstbefriedigung auf. Dabei sind die Mädchen durchaus entlastet, wenn sie hören, dass diese nicht gesundheitsschädlich ist.

Weitgehende Ahnungslosigkeit herrscht in Bezug auf Lage und Beschaffenheit des Hymens. Selbst Biologielehrerinnen gestehen verschämt ein, dass sie dieses “Verschlussteil” unmittelbar vor der Portio vermuteten, und viele können es zunächst kaum glauben, dass das Jungfernhäutchen zum Zeitpunkt der ersten Menstruation eine ca. 1 cm große dehnungsfähige Öffnung hat. Besonders den türkischen Mädchen geht bei diesen Erläuterungen ein Licht auf: Sie thematisieren einerseits Angst vor Schmerz und Blutung beim ersten Verkehr, aber auch die Sorge, das Häutchen könne allzu nachgiebig sein und nicht bluten. Im gleichen Zusammenhang kommen immer wieder Fragen nach der Dehnungsfähigkeit der Scheide, zum einen beim Einführen von Tampons, dann beim Geschlechtsverkehr und schließlich bei der Geburt.

Woher kommt das Blut der Menstruation

Die Menstruation steht bei den perimenarchealen Mädchen im Zentrum des Interesses und der Sorge:

Wie kommt die Blutung zustande? Woher kommt das Blut? Da sind Hormonfunktionen weniger gefragt. Vielmehr beeindruckt die bildliche Vorstellung eines Nestes in der Gebärmutter; damit wird an die eigene Vergangenheit appelliert, der diese Mädchen auch noch gern nahe sind:” Unsere erste Wohnung”, das klingt vertraut. Man kann die Vorbereitung dieser Wohnung für einen potentiellen Mieter ausmalen; jeden Monat wird das Nest für ein Baby bereitet, für den Fall - obwohl es jetzt ja noch ein bisschen zu früh ist, nicht wahr? Und das geschieht ganz von allein, ohne Knopfdrücken, ohne Anstrengung - wie ein Wunder. Fragen nach Verlauf, Menge, Frequenz und Dauer der Regel bewegen die Mädchen. Manche können es nicht fassen, hofften bislang, man spüre die Anzeichen und könne wie beim Harndrang einhalten, bis die Toilette erreicht ist. Andere glauben, die Sache sei eine Pubertätserscheinung, dauere etwa drei Jahre, und dann sei alles vorbei. Wieder andere fürchten die Blutung als permanente Plage, alle vier Wochen für vier Wochen. Sie haben Angst vor Schmerzen bzw. schlechter Laune, die eventuell bei der Mutter erlebt und womöglich “vererbt” wird.

Ziel des gemeinsamen Gesprächs bleibt eine positive Einstellung zu den biologischen Gegebenheiten. Kein Bedauern, kein Selbstmitleid, sondern ein pragmatischer Umgang mit der Regel: Was hilft gegen den Schmerz? Wann sollte man eher den Arzt fragen, anstatt Tabletten zu schlucken?

Zu Sport und Bewegung an der frischen Luft muss ermutigt werden. Emotionen wie Scham, Ekel und Stolz gilt es anzusprechen und dafür Verständnis zu zeigen. Scham ist auch eine Art Schutz, Ekel bekommt man durch entsprechendes Hygienemanagement gut in den Griff, Stolz gilt es zu fördern.

Seitdem mir einmal ein Mädchen berichtete, dass ihre Mutter zu ihrer Menarche bemerkt hat: “Willkommen im Club der Frauen” und ich die strahlenden Gesichter der dabeisitzenden Mädchen registrieren konnte, ist dies eine stehende Redewendung, die in keiner Arztstunde fehlt. Manchmal nutze ich sie zur Entschärfung, wenn Mädchen berichten, ihre Mütter hätten gemeint, jetzt, wo sie ihre “Tage” hätten, sollten sie sich mal einem Frauenarzt vorstellen. Die Mädchen sollen wissen, dass eine solche Konsultation nicht generell angezeigt ist, dass sie aber jederzeit die frauenärztliche Praxis aufsuchen können, wenn sie über ihre Entwicklung beunruhigt sind, d. h. nicht nur bei Beschwerden.

Soll man sich fünfmal täglich im Genitalbereich waschen?

Pickel und vermehrtes Schwitzen sind immer Bestandteil des Fragenkatalogs. Solche Fragen leiten über zur Besprechung der Gesundheits- und Körperpflege. Als Pubertierende lässt man sich hierzu von Ärzten eher etwas sagen als von der Mutter oder gar von Lehrkräften. Dies wird bei den Angaben zur Erinnerung an behandelte Themen deutlich: Überraschend hoch war der Wert zum Thema Hygiene, den wir im Rahmen einer Evaluationsstudie mit über 1 500 SchülerInnen drei bei sechs Monate nach unserer Arztstunde erfragt hatten.

Zur Genitalhygiene wird expressis verbis selten gefragt, da viele Mädchen davon ausgehen, dass beim Duschen diese Körperteile sozusagen automatisch mitbedient werden. Befürchtungen gibt es eher dahingehend, ob beim Baden Wasser in die Scheide laufen kann und ob das schadet. Sehr dankbar sind die Mädchen für konkrete Tips betreffend das Waschen im Genitalbereich, wird doch ausgesprochen selten von Elternseite dazu angehalten. Es geht z. B. um die Verwendung eines zweiten Handtuchs bzw. eines zweiten Waschlappens oder besser nur der Hand, die Wischrichtung, die sinnvolle Frequenz: Die von den Schülerinnen angebotenen Varianten reichen von einmal pro Woche bis zu fünfmal am Tag.

Über den Weissfluss wird in der Aufklärung oft nicht gesprochen. Wegen der damit verbundenen subjektiven “Inkontinenzsymptomatik” ist diese Frage ein ausgesprochenes Schamthema: Weissfluss bedeutet zunächst eine tiefe Verunsicherung, weil der Körper fremd und unberechenbar geworden zu sein scheint. Das Verstehen der Scheidenbiologie und des “Selbstreinigungsmechanismus” der Scheide bewirkt jedoch eine positive Haltung, d. h. Weissfluss bzw. der später auftretende physiologische Fluor werden nicht nur negativ konnotiert. Konkrete Informationen, z. B. über luftdurchlässige Slipeinlagen, machen das Problem handhabbar. Danach werden die Mädchen ihre Körpersäfte zwar nicht lieben, aber eher akzeptieren können, weil sie sie als sinnvoll und normal verstehen.

Können Tampons das Menstrualblut stauen?

Das Thema “Tampons” kommt praktisch in jeder Arztstunde aufs Tapet. Mit Schaudern geäußerten Phantasien, Befürchtungen vom Hörensagen oder angeblich schlechten Erfahrungen um und mit Tampons steht die gleichzeitig geäußerte Hoffnung gegenüber, dass mit diesem Menstruationsschutz die Regel besser erträglich werden könnte, wenn man sich nur trauen würde und wenn man wüsste, wie es richtig geht - ohne Verletzung, ohne Schmerz oder anderen Schaden. Eine Verheißung von Freiheit liegt in der Luft; doch zuvor gilt es, Anwendungsfragen mit Hilfe der Demonstration am Beckenmodell zu klären: Was ist, wenn der Tampon nicht ganz hineingeht, wenn er steckenbleibt, wenn er sehr weh tut, wenn er in die Gebärmutter, die Bauchhöhle rutscht, wenn er beim Geschlechtsverkehr nach oben geschoben wird?

Was ist, wenn man aus Versehen zwei oder drei Tampons hintereinander einschiebt, wenn das Bändchen reißt, wenn der Tampon fusselt, wenn er sich entzündet, wenn er vergessen wird, wen man ihn in die falsche Öffnung schiebt?

Auch sind Befürchtungen zu entkräften: Kann der Tampon das Jungfernhäutchen verletzen? Die Scheide austrocknen? Das Blut stauen? Unfruchtbar machen?

Die Erwartung, dass der Tampon bei der Verhütung helfen kann, muss hingegen enttäuscht werden.

Ab welchem Alter sollte man Geschlechtsverkehr haben?

Wenn die mit der Menstruation verbundenen Fragen ausgestanden sind, treten Fragen zur Sexualität in den Vordergrund. Einerseits beginnen die Mädchen, sexuelle Gefühle und Bedürfnisse zu verspüren und auch Ansprüche, Anforderungen nach Realisierung zu entwickeln, die zum Teil aus den Medien stammen, aber auch von den Peers. Auf der anderen Seite haben sie aber oft den dringenden Wunsch, noch warten zu dürfen, vielleicht auch Nein sagen zu können, weil sie sich noch zu jung fühlen. Es ist entwicklungspsychologisch kein Widerspruch, wenn dieselben Mädchen locken, kokettieren und ihre Verführungskünste einsetzen, doch hell entsetzt sind, wenn jemand dies ausnutzt. Die Frage: “Was meinen Sie, ab welchem Alter sollte oder muss man Geschlechtsverkehr haben?” wird oft geäußert. Die Mädchen suchen Orientierungspunkte bei dieser schwierigen Entscheidung. Wir wünschen den Jugendlichen Zeit und Ruhe bei der Annäherung an soviel Intimität, und wir versuchen, deutlich zu machen, dass sexuelle Erlebnisfähigkeit Zeit zum Reifen braucht. Doch sollte man nie unterlassen zu sagen, dass in jedem Fall ein Recht auf ärztlichen Rat und ärztliche Hilfe besteht, auch und besonders, wenn man sich schon früh auf Intimbeziehungen einlässt - vielleicht um den Freund nicht zu kränken oder weil man sich zum Nein-Sagen nicht stark genug fühlt.

Müssen die Eltern über die Anwendung der “Pille” informiert werden?

Wie die vor unserer Veranstaltung aufgeschriebenen Fragen von 8. - 9.-Klässlern zeigen, besteht ferner großer Informationsbedarf bezüglich der Empfängnisverhütung: zum Kondom, aber auch zur “Pille” und zur “Pille danach” sowie deren Risiken und Nebenwirkungen. Die Mädchen interessieren sich, ab welchem Alter die “Pille” verordnet werden kann und inwieweit die Eltern darüber informiert werden müssen. Angesichts der Vorverlegung der biologischen Reife müssen wir die Tatsache wahrnehmen, dass heutzutage 11 % der 14jährigen konkrete sexuelle Erfahrungen haben und dass für diese sehr jungen Mädchen eine sichere Verhütung besonders wichtig ist. Man kommt also mit diesen Informationen selten zu früh, aber leicht zu spät. In der ärztlichen Beratung junger Mädchen geht es nicht nur um Kompetenz, Neutralität und Verschwiegenheit, sondern immer auch um Aufklärung mit Kopf, Herz und Hand. Im geglückten Dialog - nicht belehrend, ganz ohne erhobenen Zeigefinger - wird rasch spürbar, wie Angst schwindet und Vertrauen wächst. Das ist ein sehr befriedigendes Gefühl für alle Beteiligten und eine tragfähige Grundlage für alle weiteren präventiven Bemühungen. Ein solches Gespräch kann der Beginn einer langjährigen Arzt-Patientin-Beziehung sein.

Diese Vorstellung unserer Vorgehensweise und vor allem die Einsicht, dass man nur den sehr einfachen Fragen folgen braucht, kann vielleicht Kolleginnen und Kollegen bewegen, sich in ihrer Praxis dieser sozialkompensatorischen Aufgabe anzunehmen.

Verfasserin:

Dr. med. Christine Klapp