Fachwissen
Blutige Mamillensekretion im Säuglings- und Kleinkindalter
F. Peters und S. Schlenther
aus korasion Nr. 1, Februar 2001
Eine blutige Sekretion aus der kindlichen Mamille bzw. aus einem Milchgang ist ein sehr seltenes Phänomen, das vielfach Besorgnis auslöst und in seiner Ätiologie bisher nicht mit letzter Sicherheit geklärt ist (1, 2).Im Gegensatz zum Erwachsenenalter, in dem die blutige Mamillensekretion mit malignen Brustdrüsenerkrankungen assoziiert sein kann (12), ist sie in der Kindheit offensichtlich eine benigne, selbstlimitierende Erkrankung, bei der eine operative Behandlung oder bioptische Diagnostik fragwürdig erscheint. Eine Zusammenstellung der bisher in der Literatur beschriebenen Kasuistiken soll zu einem konservativen Umgang mit diesem Krankheitsbild beitragen.
Methoden
Die Erfassung der beschriebenen Kasuistiken erfolgte mit Hilfe von MEDLINE-Literaturrecherche, zurückgehend bis zum Jahr 1950.
Bewertung der kindlichen Mamillensekretion
Reife Kinder beiderlei Geschlechts kommen normalerweise mit einer sichtbaren Brustdrüsenschwellung zur Welt. Für dieses Phänomen hat sich der Begriff “Neonatale Makromastie” eingebürgert, obwohl die Makromastie ein Terminus aus der Pathologie ist (13). Milchiger Ausfluss aus der kind- lichen Mamille (“Hexenmilch”), oft in Kombination mit der Brustdrüsenhypertrophie, ist ein potentielles Ereignis, dessen Inzidenz nicht genau angegeben werden kann (14). Der spontane Milchfluss ist extrem selten, ihn zu provozieren ist medizinisch kontraindiziert. Die plazentaren Östrogene, das plazentare Progesteron sowie das kindliche Prolaktin stimulieren das Brustdrüsengewebe des Kindes (2,13). Histologisch ist vorwiegend ein Milchgangswachstum zu beobachten (15). Definitionsgemäß bildet sich die neonatale Brustdrüsenschwellung bis zum sechsten Lebensmonat zurück. Die blutige Mamillensekretion im Säuglings- und Kleinkindesalter ist eine Rarität (1,2), wenn auch die Inzidenz nicht bekannt ist. In den meisten der dokumentierten Fälle wird eine Brustdrüsenschwellung als Korrelat einer vielfach nicht näher charakterisierten endokrinen Sekretion beschrieben. In der Literatur der letzten 50 Jahre sind bisher nur 17 Kasuistiken beschrieben, die zur Ätiologie dieser Erkrankung jedoch bisher nichts letztlich Klärendes beitragen konnten. Im Erwachsenenalter wird eine blutige Mamillensekretion nicht selten während der Laktation beobachtet (16). Ihr wird aber keine weiter abzuklärende pathologische Bedeutung beigemessen. Als Ursache nimmt man eine spontane Mikroruptur prall gefüllter Milchgänge an.
In der Dekade vor der Menopause hat die blutige Mamillensekretion am häufigsten ihr morphologisches Korrelat in einer Milchgangsektasie (13). In dieser Altersstufe sind allerdings proliferative Erkrankungen der Brustdrüse differentialdiagnostisch zu berücksichtigen und entsprechend abzuklären, so z.B. ein Mammakarzinom, eine duktale Epithelproliferation oder Papillome. Intraduktale Papillome beim Kind sind ebenfalls nur kasuistisch beschrieben (17,18). In diesen Fällen bestand das Leitsymptom in einem tastbaren Tumor und nicht in einer Mamillensekretion. Maligne Brusttumoren des Kindes, die zu einer blutigen Sekretion führen, sind nicht bekannt (19). Es scheinen vielmehr ähnliche Veränderungen wie bei der blutenden Mamille der schwangeren Frau oder der Frau mit Milchgangsektasie vorzuliegen (2). In beiden Situationen sind Blutungen aus den Milchgängen beschrieben.
Diese Hypothese wird durch die histologischen Befunde unterstützt, nach denen in der Mehrzahl der Fälle eine Duktektasie vorliegt (Tab.1): Das ektatische Gangepithel ulzeriert, bildet Granulationsgewebe und beginnt zu bluten. Je nach Ausprägung der Duktektasie war bei den Kindern ein Brustdrüsenkörper zu tasten. Auffällig ist, dass die meisten der beschriebenen Kinder noch nicht ein Jahr alt waren. Man kann daher annehmen, dass die morphologischen Befunde bei der neonatalen Makromastie zum Teil die Grundlage für die diskutierte Pathologie sind.
Per definitionem soll sich die neonatale Makromastie innerhalb von sechs Monaten post partum zurückgebildet haben. Brustdrüsenvergrößerungen zwischen dem siebten Monat und dem vollendeten siebten Lebensjahr erfüllen somit die Kriterien der prämaturen Thelarche (20) bzw. der präpubertalen Gynäkomastie (21), deren Ursache in einer abnormen Östrogenquelle zu suchen ist. Auch die intraduktalen Papillome setzen ein östrogenbetontes endokrines Milieu voraus. Hormonanalysen der untersuchten Kinder zeigten jedoch überwiegend normale Hormonspiegel, sowohl für Östrogene (6,8,9,11) als auch für Progesteron (10,11) und Prolaktin (7,8,9). Lediglich bei einem der beschriebenen Kinder fanden sich erhöhte Serum-Progesteron-Werte (8).
Als Ursachen der blutigen Sekretion ausgeschlossen werden konnten bei den untersuchten Kindern bakterielle Infektionen (2,6,9) und maligne Veränderungen (1-11). Der Krankheitsverlauf bei den in der Literatur beschriebenen Kindern zeigt, dass die blutende Mamillensekretion des Kindes in den meisten Fällen selbstlimitierend ist und innerhalb einiger Wochen bis maximal zwölf Monaten sistiert.
Sind diagnostische Maßnahmen angezeigt?
In der Diagnostik sollte heute an erster Stelle eine Ultraschalluntersuchung mit einem 7,5- bis 10-MHz-Schallkopf stehen. Hierdurch ist es möglich, einen Tumor der Brustdrüse auszuschließen, der bei vielen dieser Kinder zumindest vermutet wurde. Aufgrund der bisher bekannten Histologien geht die Blutung von den Milchgängen und wahrscheinlich nicht von Proliferationen aus. Diese wird man mit hochfrequenten Ultraschallköpfen beurteilen können. Biopsien ohne Ultraschallbefund sollten in Kenntnis der beschriebenen Kasuistiken der Vergangenheit angehören. Jede Biopsie der kindlichen Brust beim Mädchen kann entstellende Folgen im weiteren Leben nach sich ziehen. Auch für eine Mastektomie beim Knaben besteht zunächst einmal kein Anlass. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die bisher bekannten Ursachen der blutenden Mamille des Kindes gutartig sind, so dass keine chirurgische Therapie notwendig ist. Die Analogie zur Milchgangsektasie der reifen Frau kann zum Verständnis dieses Phänomens beitragen. Vorrangig sollten die Befunde durch Palpation, Sekretzytologie und Sonographie überwacht werden. Die dokumentierten Fälle machen eine spontane Remission sehr wahrscheinlich.
Zusammenfassung
In den letzten 50 Jahren wurden 17 Fälle von Kindern mit blutiger Mamillensekretion beschrieben (Tab.1). Die Verteilung von Knaben zu Mädchen betrug 10 :7. Das jüngste Kind mit blutiger Mamillensekretion war sechs Wochen alt, das älteste vier Jahre. Die Symptomatik ging in zehn Fällen mit einer Brustdrüsenhypertrophie einher, in fünf Fällen war kein Drüsengewebe palpabel. Die blutige Sekretion hielt eine Woche bis zu 7,5 Monate an und sistierte dann ohne Therapie. In den Fällen, in welchen eine Exzision des Brustdrüsengewebes bzw. eine Mastektomie durchgeführt wurde, zeigte die histologische Untersuchung in fünf von sechs Präparaten eine zystische Duktektasie, in einem Präparat Veränderungen entsprechend einer Gynäkomastie. Die neonatale Makromastie ist demnach zumeist auf eine zystische Erweiterung der Milchgänge zurückzuführen (15). Die Analogie zur Milchgangsektasie der reifen Frau oder zur Blutbeimengung in der Milch während der Stillzeit kann zum Verständnis des Phänomens beitragen (13). Vorrangig sollten die Befunde durch Palpation, Sekretzytologie und Sonographie überwacht werden. Die dokumentierten Fälle machen eine spontane Remission sehr wahrscheinlich. Es kann somit festgehalten werden, dass die bisher bekannten Veränderungen bei der blutenden Mamille des Kindes gutartig sind und es keiner chirurgischen Therapie bedarf.
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Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Friedolf Peters
St. Hildegardis-Krankenhaus
Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Akademisches Lehrkrankenhaus der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Hildegardstraße 2
55131 Mainz