Fachwissen
Europäischer Vergleich
Abruptiones bei Teenagern
Norbert Kluge
aus korasion Nr. 4, November 2002
Weltweit bringen nach einem UNICEF-Bericht jedes Jahr 15 Millionen Frauen im Teenager-Alter ein Kind zur Welt. Das Risiko, bei der Geburt zu sterben, ist bei den Jüngeren von ihnen wenigstens doppelt so hoch wie bei den über 20 Jahre alten Frauen.
Ungefähr 10 % der Schwangerschaftsabbrüche, die in der Welt durchgeführt werden, entfallen auf die Altersgruppe der 15- bis 19jährigen Frauen.
Traurige Rekorde
Alarmierend ist die Zahl der ungeplanten Schwangerschaften und illegalen Schwangerschaftsabbrüche bei Teenagern in der sog. Dritten Welt. Die Zahl der ungewollten Schwangerschaften in den Entwicklungsländern wird vom Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen auf 20 bis 60 % bei den unter 20 Jahre alten Frauen geschätzt (UNICEF, 1998). In Europa sind die Häufigkeit von Teenager-Schwangerschaften und die Probleme, die sich für die Betroffenen aus einer ungewollten Schwangerschaft ergeben, mit denen in Afrika, Asien oder Amerika in vielerlei Hinsicht nicht zu vergleichen. Allerdings sind auch auf dem europäischen Kontinent seit längerem Länder zu beobachten, die hinsichtlich der Anzahl ungeplanter Schwangerschaften und legaler Schwangerschaftsabbrüche im Kindes- und Jugendalter traurige Rekorde aufweisen. Zumeist tun sich die Politiker der noch zu nennenden Staaten schwer, die häufigsten Ursachen zu erkennen und Strategien für eine Problemlösung zu entwickeln. Im Zusammenhang mit ungewollten Teenager-Schwangerschaften, mit Schwangerschaftsabbrüchen im Jugendalter sowie mit der Empfängnisverhütungspraxis heutiger Jugendlicher ist im Hinblick auf eine anspruchsvolle Darstellung der Einzelfakten bzw. statistischen Daten der jeweils gesellschaftlich-kulturelle Hintergrund eines Landes von entscheidender Bedeutung. In diesem Beitrag kann dieser Hintergrund jedoch nur angedeutet werden.
Die Tabellen 1-3 bringen Zahlen aus einigen ausgewählten europäischen Ländern, zum einen zu den Geburten bei jugendlichen verheirateten Müttern, zum anderen zu den gesetzlichen Schwangerschaftsabbrüchen bei Mädchen bzw. jungen Frauen bis zum 19. Lebensjahr.
Tab. 1: Geburten bei jugendlichen Frauen (Alter: 12 bis 17 Jahre) im Rahmen einer bestehenden Ehe in 15 ausgewählten europäischen Ländern | ||||||||
Land | Jahr | Bevölk.in Mio | Geburten insg. je 1000 Einw. | |||||
1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | 1999 | 1996 | 2000 | |
Bulgarien (BL) | 4450 | 3752 | 3757 | 4131 | 3943 | 8211 | 8,6 | 9,0 |
Deutschland (EU) | 984 | 928 | 788 | 612 | -** | 82037 | 9,7 | 9,2* |
Finnland (EU) | 159 | 142 | 160 | 161 | 215 | 5160 | 11,8 | 11,0 |
Frankreich (EU) | 222 | - | 2691 | 2735 | 2873 | 58973 | 12,7 | 13,2 |
Griechenland (EU) | 928 | 875 | 861 | 864 | - | 10522 | 9,6 | 9,6+ |
Niederlande (EU) | 347 | 384 | 415 | 477 | 516 | 15760 | 12,2 | 13,0* |
Österreich (EU)° | 522 | 476 | 463 | 460 | 470 | 8083 | 11,0 | 9,6 |
Polen (BL)° | 3494 | 3368 | 2907 | 3396 | 3304 | 38654 | 11,1 | 9,8 |
Portugal (EU) | 1702 | 1810 | 1724 | 1742 | 1815* | 9980 | 11,1 | 11,8+ |
Rumänien (BL) | 8593 | 8656 | 7981 | 7663 | 7723 | 22458 | 10,2 | 10,4 |
Schweden (EU) | 400 | 250 | 204 | 211 | 243 | 8854 | 10,8 | 10,2 |
Schweiz | 36 | 32 | 28 | 113 | 19 | 7124 | 11,7 | 10,9* |
Spanien (EU) | 2373 | 2308 | 2260 | 2363 | - | 39394 | 9,2 | 9,9+ |
Tschech. Rep. (BL) | 787 | 697 | 619 | 589 | 561 | 10283 | 8,8 | 8,8 |
Ungarn (BL) | 3540 | 2237 | 1985 | 1785 | - | 10068 | 10,3 | 9,7+ |
EU=EU-Staat; BL=Beitrittsland; * vorläufige Angabe; ** nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes vom 27.05.2002 lag die Zahl noch nicht vor; - keine Angaben; + geschätzte Angabe; ° mit Totgeburten. Quellen: Eurostat (“New Cronos” -Datenbank, 21.05. und 29.05.2002); Eurostat-Jahrbuch 2001 |
Tab. 2: Gesetzliche Schwangerschaftsabbrüche bei jungen Frauen im Alter unter 15 Jahren in acht ausgewählten europäischen Ländern | |||||
Land | Jahr | ||||
1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | |
Deutschland | 365 | 441 | 453 | 467 | 574 |
Finnland | 20 | 23 | 28 | 88 | 84* |
Großbritannien | 1231 | 1139 | 1207 | 1172* | 1158 |
Rumänien | 862 | 638 | 558 | 607 | 578 |
Schweden | 137 | 134 | - | 583 | 216 |
Spanien | 100 | 115 | 117 | 159 | - |
Tschech. Rep. | 33 | 29 | 39 | 35 | 26 |
Ungarn | 256 | 226 | 217 | 194 | 160 |
* vorläufige Angabe; - keine Angabe. Quelle: Eurostat (“New Cronos”-Datenbank, 21.05.2002). |
Tab. 3: Gesetzliche Schwangerschaftsabbrüche bei jungen Frauen im Alter zwischen15 und 19 Jahren in acht ausgewählten europäischen Ländern | |||||
Land | Jahr | ||||
1996 | 1997 | 1998 | 1999 | 2000 | |
Deutschland | 11131 | 12010 | 12864 | 13759 | 14930 |
Finnland | 1514 | 1633 | 1786 | 2192 | 2264* |
Großbritannien | 35557 | 36633 | 40371 | 39676* | 40235 |
Rumänien | 35814 | 26095 | 20886 | 20386 | 19549 |
Schweden | 4225 | 4240 | - | 4090 | 5001 |
Spanien | 7211 | 7074 | 7657 | 8510 | - |
Tschech. Rep. | 5059 | 4330 | 4259 | 3595 | 2990 |
Ungarn | 11405 | 10571 | 9362 | 8375 | 7163 |
* vorläufige Angabe; - keine Angabe. Quelle: Eurostat (“New Cronos”-Datenbank, 21.05.2002). |
Die Anzahl an Schwangerschaftsabbrüchen fällt in den einzelnen erfassten Ländern höchst unterschiedlich aus. Diese Unterschiede basieren allerdings nicht nur auf der unterschiedlichen Bevölkerungszahl des jeweiligen Landes allein. Auch reicht nicht aus, gegebenenfalls die verschiedenen Größen der Altersjahrgänge als Begründung heranzuziehen. Großbritannien ist das Land, das zwischen 1996 und 2000 jeweils die höchste Zahl an Abbrüchen bei den Teenagern, und zwar sowohl bei den unter 15 Jahre alten als auch bei den 15- bis 19jährigen Teenagern aufzuweisen hatte. Die Regierung des Landes hat denn auch ihre Bemühungen verstärkt, um das Problem gesamtgesellschaftlich in den Griff zu bekommen.
Insgesamt am höchsten ist die Zahl der gemeldeten Abruptiones bei den jungen Frauen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren. Neben den Zahlen aus Großbritannien sind auch die Angaben für Rumänien und Deutschland beachtlich. Während sich jedoch in dem osteuropäischen Land eine langsame Verringerung der hohen Zahl anbahnt, ist die Zahl der legalen Abbrüche in der Bundesrepublik Deutschland in dem angegebenen Zeitraum kontinuierlich angewachsen.
Fehlende Beratung
Nach den von Eurostat veröffentlichten Daten waren gemäß den Landesgesetzen legal durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche im Jahre 1999 in Großbritannien, Rumänien und Deutschland am häufigsten und in der Tschechischen Republik und Finnland vergleichsweise seltener. Leider stellt Eurostat noch keine Zahlen zur Verfügung, die über die Abbruchraten in den europäischen Staaten insgesamt Aufschluss geben. Auch fehlen Angaben zur Zahl der Geburten in den verschiedenen Altersjahrgängen, so dass ein genauerer Vergleich zwischen den EU-Mitgliedstaaten untereinander oder mit den Beitrittsländern heute noch nicht möglich ist.
Eine möglichst effektive Prävention mit dem Ziel, die Zahl der ungewollten Schwangerschaften sowie der legalen und illegalen Schwangerschaftsabbrüche im Jugendalter zu reduzieren, setzt voraus, in den genannten Ländern das Beratungsangebot insgesamt zu erweitern und die Ressourcen in den dafür zuständigen Institutionen (Familie, Schule, außerschulische Jugendarbeit, anerkannte Beratungsstellen u.a.) zu erhöhen. Besonders wichtig ist, die jugendlichen Adressaten beiderlei Geschlechts möglichst früh, d.h. rechtzeitig über sexuelle Reifungsprozesse und die sexuelle Verantwortung eines jeden Jugendlichen zu informieren. Vor allem sollte auch die Verhütungspraxis in einzelnen Ländern überprüft und nach Möglichkeiten Ausschau gehalten werden, wie sie verbessert werden kann.
Von Interesse ist diesbezüglich, dass der Gebrauch von Verhütungsmitteln in den EU-Beitrittsländern durchschnittlich geringer (etwa 31 %) ist als in den Mitgliedstaaten (65 bis 75 %) der Europäischen Union. Für das Sexualleben in der Bevölkerung eines Landes ist darüber hinaus die Einstellung eines jeden Einzelnen gegenüber der Sexualität von großer Bedeutung. Gerade in dieser Beziehung zeigen sich immer noch handfeste Probleme wie individuelle Sprachlosigkeit, mangelnde Gesprächsbereitschaft, Festhalten an überkommenen Vorurteilen und fehlender Mut, die als wegweisend erkannten Strategien zielorientiert anzugehen.
Der Beitrag wurde seitens der Redaktion gekürzt.
(Literatur kann beim Verfasser angefordert werden.)
Verfasser:
Prof. Dr. Norbert Kluge
Forschungsstelle für Sexualwissenschaft und Sexualpädagogik
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