Fachwissen

Prämature Thelarche/Pubertas praecox:

Inwieweit ist die Schleimhautzytologie zum Nachweis der endogenen Östrogenausschüttung hilfreich?

Fabian Schmidt und Markus Bettendorf

(Kurzfassung) aus korasion Nr. 1, März 2002

Die Thelarche als Zeichen der beginnenden Pubertätsentwicklung bei Mädchen, die noch nicht das entsprechende Alter erreicht haben, beunruhigt sowohl die Eltern als auch die betroffenen Patientinnen.

Bei der ambulanten klinischen Untersuchung der Mädchen ist die Differenzierung zwischen einer harmlosen Variante der Pubertätsentwicklung (z.B. prämature Thelarche) und pathologischen Störungen der Pubertätsentwicklung (z.B. Pubertas praecox) schwierig. Dies beruht zum Teil darauf, dass die anamnestischen Informationen zum Körperwachstum bzw. zur Progression der körperlichen Entwicklung, die für die klinische Beurteilung eine große Rolle spielen, häufig unzuverlässig sind.

Diagnostische Möglichkeiten

Diagnostisch hilfreich ist die Bestimmung des Tanner-Stadiums der Pubertätsentwicklung, ferner die radiologische Bestimmung des Knochenalters. Zudem ergeben sich wertvolle Informationen bei der sonographischen Untersuchung des inneren Genitale. Schon kritischer zu sehen sind endokrinologische Untersuchungen.

Die häufig praktizierte punktuelle Bestimmung der Konzentrationen von 17¥â-Estradiol (E2) sowie der Gonadotropine LH und FSH im Serum kann die dynamische Sekretion dieser Hormone nicht ausreichend genau widerspiegeln. Zur exakten Evaluierung des Hormonstatus ist daher die Durchführung von Stimulationstests (GnRH-Test) und die Anfertigung von Sekretionsprofilen (LH, FSH) notwendig, um die pubertäre Hormonsekretion quantifizieren zu können und um eine präzise differentialdiagnostische Beurteilung der Pubertätsentwicklung zu ermöglichen. Diese Untersuchungen sind jedoch invasiv, insbesondere für kleine und junge Mädchen traumatisch und technisch nicht immer einfach durchführbar.

Die Schleimhautzytologie hat seit langem einen diagnostischen Stellenwert in der Gynäkologie. Insbesondere ist die Untersuchung von Zellen der Vaginalschleimhaut zur Evaluierung des Östrogenstatus bei Frauen gut validiert. Aber auch andere Epithelien wie zum Beispiel die Mundschleimhaut und die Konjunktiva sollen hormonabhängige Veränderungen widerspiegeln.

Systematische Untersuchungen sowohl der Vaginalschleimhaut als auch anderer Epithelien von heranwachsenden Mädchen und Jugendlichen fehlen jedoch bislang, obwohl Veränderungen der Vaginalschleimhaut zum Zeitpunkt des Pubertätseintritts schon makroskopisch bei der klinischen Untersuchung erkennbar sind.

Design der Studie

Das Ziel unserer Studie war die Untersuchung von Zellen der Mundschleimhaut peripubertärer Mädchen zum Nachweis der endogenen E2-Ausschüttung. Die Ergebnisse sollten mit den zytologischen Befunden an der Vaginalschleimhaut als Referenz verglichen werden. Zudem wurde die Aussagekraft der Zytodiagnostik anhand der Befunde bei der ambulanten Routinediagnostik sowie anhand des klinischen Verlaufs überprüft und validiert. Bei 77 Mädchen im Alter von 2,0 bis 15,7 Jahren, die in unserer pädiatrisch-endokrinologischen Ambulanz zur Evaluierung der Pubertätsentwicklung vorgestellt wurden, wurde neben der Routinediagnostik (Bestimmung des Knochenalters sowie der Serumkonzentrationen von LH, FSH und E2) auch je ein Abstrich von der Mund- und von der Vaginalschleimhaut angefertigt. Die Abstriche wurden nach G.N. Papanicolaou gefärbt und nach A. Schmitt klassifiziert.

Auf der Basis der erhobenen Befunde und des klinischen Verlaufs wurden die Mädchen retrospektiv in vier Gruppen eingeteilt:

  • Infantile Mädchen,
  • Mädchen mit prämaturer Thelarche,
  • Pubertäre Mädchen und
  • Mädchen mit Pubertas praecox unter Behandlung mit GnRH-Agonisten.

Außerdem wurden die Sensitivität und Spezifität der einzelnen diagnostischen Maßnahmen bestimmt.

Ergebnisse

  • Für die zytologische Untersuchung der Mundschleimhaut ergab sich eine niedrige Sensitivität (29,7 %) und auch eine niedrige Spezifität (52,2 %) hinsichtlich der Diagnose der Pubertät. Die Zellen der Mundschleimhaut spiegeln somit die endogene E2-Ausschüttung in nur geringem Maße wider.
  • Im Gegensatz dazu ergab sich für die Untersuchung der Vaginalschleimhaut eine deutlich höhere Sensitivität (75,7 %) und auch Spezifität (73,9 %). Die Sensitivität war sogar durchweg besser als die für die Untersuchung der Serumparameter (E2: 45,9 %; LH: 51,3 %; FSH: 48,6 %).
  • Bei der kombinierten Bestimmung des Knochenalters und der vaginalen Zytoparameter ergab sich eine Sensitivität von 85,0 % und eine Spezifität von 75,0 % für die Diagnose einer Pubertas praecox.  
  • Die Reproduzierbarkeit der zytologischen Ergebnisse war hoch (r = 0,82).  
  • Die zytologischen Untersuchungen wurden von den Patientinnen gut toleriert und zumeist als weniger belastend als eine Blutentnahme empfunden. Auch waren die zytologischen Untersuchungen einfach durchzuführen.

Diskussion

Unsere Untersuchungen belegen die Wertigkeit der zytologischen Parameter der Vaginalschleimhaut als Indikator für die Östrogenausschüttung auch bei Kindern und Adoleszentinnen und zeigen eine Überlegenheit dieser Methodik gegenüber den biochemischen Parametern in der ambulanten Diagnostik.

In weiteren Untersuchungen soll überprüft werden, inwieweit zytologische Parameter der Mundschleimhaut außerhalb der Klassifikation von A. Schmitt zur Beurteilung des Östrogenstatus herangezogen werden können. Auch die zytologische Untersuchung anderer Gewebe bedarf einer erneuten Evaluierung.

Die vorgestellten Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die zytologische Untersuchung der Vaginalschleimhaut einen hohen Stellenwert in der diagnostischen Beurteilung der weiblichen Pubertät besitzt und als Ausgangsbasis für die weitere Diagnostik gelten kann, da sie wenig aufwendig ist und ihre Ergebnisse hoch aussagekräftig sind. Ihre Bedeutung
als Verlaufsparameter bei Pubertas praecox unter einer Therapie mit GnRHAnaloga muss jedoch weiter untersucht werden.

Verfasser:

Dr. med. F. Schmidt
PD Dr. med. M. Bettendorf
Sektion für Stoffwechsel und Endokrinologie
Universitäts-Kinderklinik
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg