Fachwissen

Berichte vom IX. Europäischen Kongress

Sind IUP bedingt auch bei Jugendlichen indiziert?

Marlene Heinz

aus korasion Nr. 2, Mai 2003

Der IX. Europäische Kongress für Kinder- und Jugendgynäkologie fand vom 02.12. bis 05.12.2002 in Florenz unter der wissenschaftlichen Leitung von Frau Prof. Vincenzina Bruni von der dortigen Universitäts-Frauenklinik statt. Das Spektrum der wissenschaftlichen Beiträge, in Vorträgen, Round-tables, kleineren „Meet the Experts"-Gruppen und auf Postern dargeboten von mehr als 200 Referenten aus Europa, Südamerika und den USA, umfasste nahezu das gesamte Gebiet der Kinder- und Jugendgynäkologie.

K Siemaszko, Buenos Aires, berichtete im Topic „Sexually transmitted diseases" über eine einfache und Patientinnenfreundliche Methode zur Gewinnungvon Untersuchungsmaterialbei Verdachtauf STD. Das Untersuchungsmaterial für die STD-Diagnostik auf Gonokokken, Chlamydien, HPV und andere Erreger wurde durch die Teenager selbst per Vaginaltampon gewonnen und dann mit PCR-Techniken aufgearbeitet. Die Resultate waren ebenso zuverlässig wie die Kontroll-Untersuchungsergebnisse aus Zervikalabstrichen: Die Tamponmethode wies eine Sensibilität von 88,5 % und eine Spezifität von 93,5 % auf.

Im Topic „Educational politics for adolescents" forderten Referenten aus Italien, Chile, Finnland und Polen übereinstimmend Einrichtungen für Jugendliche, die ihnen einen einfachen und möglichst kostenlosen Zugang zur Kontrazeptionsberatung, zur Verschreibung von Kontrazeptiva und zur Untersuchung auf STD bieten.

D. Apter, Helsinki, stellte in seinem Vortrag über unterschiedliche Erfahrungen mit Jugend-Gesundheitsdiensten das Modell eines seit 1975 in Finnland bestehenden, umfassenden Service vor. Das beeindruckende Ergebnis dieses Service war, dass in Finnland bis 1995 die Abortrate bei den 15- bis 19 Jährigenvon 21,2 auf 10/1000 und die Geburtenrate von 27,5 auf 10/1 000 abgesunkenwar. Die USA sind - unverändert - mit einer Abortratevon 27,5/ 1000 bei den 15- bis 19-Jährigen und einer Geburtenrate von 48,7/1000 in dieser Altersgruppe weltweit führend (E. Degennaro, Italien).

Im Topic „Perspectives in contraception" belegte M. Heinz, Berlin, in ihrem Vortrag über Langzeitkontrazeption in der Adoleszenz: State of the art anhand von Literaturdaten, dass alle Gestagen-Langzeitkontrazeptiva, sowohl das lokal wirksame LNG-IUS (Mirena) als auch die systemisch wirkenden Gestagen-Injektate (DepoClinovir) und -Implantate (Implanon mit einem Pearl-Index zwischen 0,1 und 0,3 im Vergleich zu anderen Methoden die höchste kontrazeptive Sicherheit haben. Zudem stellte M. Heinz fest:

  • Implantate weisen bei Adoleszentinnen mit durchschnittlich 90 % die höchste Kontinuitätsrate im Vergleich zu oralen Kontrazeptiva mit durchschnittlich 30 % auf.
  • Die unerwünschten Erscheinungen unter Anwendung von Langzeitkontrazeptiva, insbesondere Blutungsstörungen wie Spottings und Amenorrhoe mit bis zu 80 % und Gewichtszunahmen in bis zu 80 %, sind allerdings in Abhängigkeit von der Art des Präparates höher als bei Anwendung oraler Kontrazeptiva.
  • Unter Depo-Clinovir (MPA) wird bei jungen Mädchen eine Abnahme der Knochendichte diskutiert. Außerdem kann die Wiedererlangung der Fertilität nach Medroxyprogesteronazetat-Depotanwendung um bis zu zwölf Monate verzögert sein.
  • Langzeitkontrazeptiva kommen bei Adoleszentinnen als Routinemethode schon deshalb nicht in Betracht, weil der Wunsch nach Kontrazeption in dieser Altersgruppe im Allgemeinen nicht langfristig ausgelegt ist. Unter sozialen Aspekten (gestörtes soziales Umfeld, Herumtreiben, Drogen- und Alkoholmissbrauch) sowie bei mangelnder Compliance im Umgang mit oralen Kontrazeptiva sollte jedoch die Anwendung von Langzeitkontrazeptiva erwogen werden. Auch sollte der ausdrückliche Wunsch eines Mädchens nach einer Langzeitkontrazeption - z. B. weil sie die regelmäßige Menstruation als lästig empfindet - ernst genommen werden.
  • Unter den medizinischen Indikationen für Langzeitkontrazeptiva ist an erster Stelle die geistige Behinderung zu nennen. Außerdem sind Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen (Bluthochdruck, Nikotinabusus und Hyperlipidämie) sowie HIV-Infektionen (AIDS) und östrogenbezogene Komplikationen unter oraler Kontrazeption als Indikationen in Betracht zu ziehen.

D. Wildemeersch, Gent/Belgien, stellte in seinem Vortrag über kleine Langzeit-Intrauterinpessare bei Adoleszentinnen die von ihm entwickelten „rahmenlosen" Kupfer-IUP vor, das „frameless" GyneFix Standard (1985) und das GyneFix mini (2000), dessen Oberfläche noch um ein Drittel kleiner ist als die des GyneFix standard. Beide IUP sind für Jugendliche eine gute Alternative zur oralen Kontrazeption, da sie ein hohes Maß an kontrazeptiver Sicherheit bieten und gleichzeitig als Therapeutikum bei Dysmenorrhoe und Metrorrhagie geeignet sind.

Zur Anwendung bei Nulliparae und Jugendlichen erfolgte die Entwicklung des „frameless" LNG- IUS (FibroplantLNG) nach dem Muster des GyneFix, das ebenso wie die „rahmenlosen" Kupferpessare für das kleine Cavum uteri geeignet ist. Allerdings erfordert die sichere Insertion einiges Training, weil die Verankerung des Systems im Cavum uteri mittels eines Clips neu und gewöhnungsbedürftig ist.
Leicht einsetzbar dagegen ist das nach dem Design des Copper-T gestaltete, schmale T-LNG14IUS, dessen kontrazeptive Sicherheit aber erst noch in Studien bestätigt werden muss.

Die WHO empfiehlt die Anwendung von IUP bei unter 20-jährigen Frauen mit hohem Risiko für unerwünschte Schwangerschaften als sichere Verhütungsmethode unter der Voraussetzung, dass ein sorgfältiges STD-Screening erfolgt.

Als eine neue, nicht hormonale Methode der Schwangerschaftsverhütung stellte A. A. Shihata, Kalifornien, seine Zervixkappe FemCap vor. Obgleich FemCap sowohl vor unerwünschten Schwangerschaften als auch vor STD schützt, wurde das Produkt von vielen Kongressteilnehmern als Kontrazeptivum für junge Mädchen abgelehnt, weil die Anwendungsprozeduren von dieser Altersgruppe erfahrungsgemäß nicht akzeptiert werden und von vielen Zuhörern auch als unzumutbar empfunden wurden. (Anm. d. Verf.: Nicht unwesentlich scheint zu sein, dass die Anwendung von Barrieremethoden wie Scheidendiaphragma oder Portiokappe, anders als in den USA, in Europa keine Tradition hat.).

Im Topic „The failure of contraceptive use" sprach E. Aubeny, Paris, über die Notfallkontrazeption bei Adoleszentinnen. Nach einem Überblick über Indikationen und Methoden - die kontraindikationsfreien und nebenwirkungsarmen „Gestagen-only-pills" haben die Östrogen-Progestin-kombinierten Präparate (Yuzpe-Methode) und das ohnehin selten verwendete postkoitale IUP zu Recht weitgehend verdrängt - stellte sie das französische Modell vor: Unter dem Aspekt, dass eine Notfallkontrazeption immer auch ein Zeitproblem beinhaltet, es sich also um einen echten Notfall handelt, wurde im Juni 1999 in Frankreich beschlossen, Levonorgestrel 0,75 mg ohne ärztliche Verordnung für Adoleszentinnen freizugeben. Inzwischen sind seit 2000 Norwegen, Portugal, Südafrika und Sri Lanka, seit 2001 Belgien, Dänemark, Schweden, Großbritannien und die französisch sprechenden afrikanischen Länder und seit 2002 Finnland und die Schweiz diesem Beispiel gefolgt.

Die französischen Maßnahmen im Hinblick auf den erleichterten Zugang von Teenagern zur Levonorgestrel-Notfallkontrazeption beinhalten:

  1. Kostenlose Verteilung durch Schulkrankenschwestern im Notfall, wobei die Krankenschwestern bestimmte Vorschriften einhalten müssen.
  2. Kostenlose Abgabe von Levonorgestrel an unter 18Jährige durch Apotheken seit 2002.
    Der erleichterte Zugang zu Levonorgestrel als Notfallkontrazeptivum ist eine wesentliche Chance, unerwünschte Schwangerschaften zu vermeiden.

R. Schiavon, Mexiko, betonte in ihrem Vortrag zur Beratung über die Notfallkontrazeption, dass es gerade in Ländern wie Mexiko, d. h. in allen südamerikanischen Staaten, in denen keine legalen Aborte zugelassen sind, ganz besonders wichtig ist, dass die Jugendlichen die Möglichkeiten der Notfallkontrazeption kennen, insbesondere auch das zeitlich begrenzte „Fenster" der Anwendung von Notfallkontrazeptiva und den freien Zugang zu diesen Mitteln haben.

In den „Communications" sprach A. Kontoravdis, Athen, über Endometriose bei Adoleszentinnen mit chronischen therapieresistenten Unterbauchschmerzen: Die Auswertung der Daten von 65 Patientinnen im Alter von 13 bis 21 Jahren, bei denen eine diagnostische Laparoskopie wegen persistierender Unterbauchschmerzen nach Behandlung mit oralen Kontrazeptiva und nicht-steroidalen Analgetika durchgeführt worden war, ergab in 40 Fällen (62%) eine Endometriose. Bemerkenswert ist, dass 33 % der Patientinnen „nicht-klassische" Veränderungen, also weiße und gelbe Knötchen aufwiesen - und nicht die „klassischen" roten, dunkelbraunen oder schwarzen Läsionen, wie sie bei Erwachsenen häufiger vorkommen.

Es wird bei jungen Patientinnen mit therapieresistenten Unterbauchschmerzen und unauffälligem Laparoskopie-Ergebnis empfohlen, mindestens zwei „blinde" peritoneale Biopsien durchzuführen, um histologisch die Möglichkeit zu nutzen, eine Endometriose in ihrem frühen Stadium zu erkennen.

Anders als bei Erwachsenen traten die Unterbauchschmerzen bei den jugendlichen Endometriose-Patientinnen in 88 % azyklisch auf. Ein weiterer interessanter Punkt ist, dass in dieser Studie nur 8 % der Patientinnen mit Endometriose einen irregulären Menstruationszyklus aufwiesen, die jugendlichen ohne Endometriose hingegen in 44 %.

Zur Behandlung bei Endometriose wurde ein dreimonatiger Kurs mit GnRH-Analoga empfohlen, gefolgt von der Gabe kombinierter oraler Kontrazeptiva.

V Bruni, Florenz, berichtete über das hämostatische System bei jungen Mädchen und Frauen mit PCOS. In einer Studie mit 136 Patientinnen im Alter zwischen 11 und 25 Jahren wurden erhöhte Spiegel von Fibrinogen, Prothrombin-Fragmenten (F1+2), PAI-1 und D-Dimeren und damit ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien festgestellt. Bei ausgeprägtem PCOS waren zudem die Lipoprotein(a)-Spiegel signifikant höher als bei den leichten und milden Formen, so dass damit ein erhöhtes Risiko für spätere kardiovaskuläre Erkrankungen zu erwarten wäre. Unter diesem Aspekt ist aber auch die Rolle der Östrogen-Progestagen-Kombinationen zur Therapie beim PCOS zu diskutieren: Einerseits bessern diese Kombinationen eindeutig die klinischen Symptome des PCOS und scheinen auch die Tendenz zu Hyperinsulinismus und Insulinresistenz positiv zu beeinflussen, andererseits ist bekannt, dass die Anwendung dieser Kombinationen mit der vermehrten Bildung von Funktionsproteinen verbunden ist und damit womöglich das thromboembolische Risiko erhöht wird.

Ein großer Teil der Vorträge, Präsentationen und Poster ist in englischer Sprache in „Pediatric and Adolescent Gynecology" wiedergegeben (Editors: V. Bruni, M. Die; CIC Edizioni Internazionali-Rome, 2003, ISBN 88-7141586-8).

Berichterstatterin:

Dr. med. Marlene Heinz
Berlin