Fachwissen

Österreich

Zehn Jahre First Love Ambulanzen

Judith Esser Mittag

aus korasion Nr. 1, März 2003

Seit nunmehr einem Jahrzehnt hat sich ein innovatives Konzept zur Beratung junger Mädchen am Anfang von intimen Beziehungen bewährt. Die gynäkologischen Beratungsstellen mit Modellcharakter waren die Idee von Prof. Dr. Werner Grünberger: Auf seine Initiative hin erfolgte 1992 die Gründung der Institution am Krankenhaus Rudolfstift in Wien. Trägerin ist die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung; Bund und Länder sind an der Finanzierung beteiligt.

Den Namen „First Love Ambulanz“ haben sich übrigens die Jugendlichen selbst aussuchen dürfen. Die Beratung erfolgt ohne Voranmeldung, anonym und kostenlos. Das interdisziplinäre Team besteht aus Frauenärzten, Psychologen, Sozialpädagogen und Ambulanzschwestern. Es bietet Jugendlichen im Alter bis zu 19 Jahren und deren Partnern Gespräch, Beratung und Untersuchung an.

Über die Erfahrungen in dieser patientenorientierten Einrichtung wurde am Vormittag des 09.11.2002 im traditionsreichen Billroth-Haus der Gesellschaft der Ärzte in Wien berichtet. Ergänzend stellten sich Vertreterinnen/Vertreter der First Love Ambulanzen aus Bad Ischl, Innsbruck, Klagenfurt, Linz, Ried, Salzburg, St. Veit a.d. Glan und Steyr vor.

Für Prof. Grünberger, der die Einrichtung selbst leitet, ist es eine besondere Genugtuung, dass die Mädchen zunehmend bereits vor dem ersten Geschlechtsverkehr in die Ambulanz kommen oder doch sehr bald danach. So kommt der präventive Charakter der Initiative gut zum Tragen: 88 % der Klientel kommen mit dem Wunsch nach Beratung. 70 % der Ratsuchenden möchten die erste gynäkologische Untersuchung in der entspannten Atmosphäre dieser Einrichtung erleben. Auf jede Klientin werden im Durchschnitt 48 Minuten verwendet.

Nach der vergleichenden Präsentation der Ergebnisse von Teenager-Befragungen in den Anfangsjahren und solchen aus jüngster Zeit referierte Prof. Dr. Christiane Spiel vom Institut für Psychologie der Wiener Universität über die engen Zusammenhänge zwischen dem Sexualverhalten und dem soziokulturellen Umfeld. Die Vortragsveranstaltung am Nachmittag war Themen aus Medizin, Psychologie und Soziologie mit Relevanz für Jugendliche gewidmet:

  • Die Möglichkeiten der Empfängnisverhütung passierten Revue - einschließlich der neueren Langzeitkontrazeptiva. Dr. Marlene Heinz, die Vorsitzende der deutschen Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie, referierte über Blutungsstörungen unter Anwendung von Kontrazeptiva und kam zu dem Schluss, dass unter der Mikropille vergleichsweise am wenigsten Blutungsstörungen zu beobachten sind.  
  • Prof. Dr. Wolfgang Walcher/Graz berichtete über die "Pille danach" und wog die Vor- und Nachteile der chirurgischen und der medikamentösen Abruptio im jugendlichen Alter gegeneinander ab.  
  • Dr. Michaela Olechowski von der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Rudolfstifts lenkte den Blick auf die Schwangerschaften Minderjähriger, insbesondere 15jähriger und noch jüngerer Mädchen. Bei den letzteren wird in zwei Dritteln der Fälle der Abbruch als Problemlösung gewählt. Die Referentin forderte mehr Unterstützung der Jugendlichen - von uns allen!  
  • Prof. Dr. Max Hermann Friedrich von der Wiener Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kindes- und Jugendalters befasste sich tief schürfend mit den intellektuellen und emotionalen Zugängen zur Sexualität und plädierte für den Einsatz von Erwachsenen/Vorbildern in den Schulen, damit die Jugendlichen "Leben lernen".  
  • Helene Karmasin, Leiterin des österreichischen Gallup-Instituts, legte Ergebnisse der Motivforschung vor, die eindringlich belegen, welch prägende Wirkung die Medien auf unser aller Tun und Lassen haben. Sie postulierte Emanzipation, kritisches Bewusstsein und Wahrnehmen der gesellschaftlichen Verantwortung, um diesen Einflüssen entgegenzutreten.  
  • Die klinischen und die gerichtsmedizinischen Standards bei der Untersuchung von Opfern sexueller Gewalt wurden eindrucksvoll von Dr. Francesca Navratil und Dr. Elisabeth Friedrich dargestellt.  
  • "Mädchen und Sport" war das Thema von Frau Liese Prokop, ehemalige Hochleistungssportlerin, heute Vertreterin des Landeshauptmannes in Niederösterreich.  
  • Das Problem "Mädchen und Drogen" wurde kenntnisreich von Prim. Dr. Stephan Rudas behandelt, dem Leiter des Psychosozialen Dienstes in Wien.

Zum Schluss stellte Prof. Dr. Doris Gruber mit dem Thema "Vorbereitet zum Sex - unvorbereitet zur Liebe" den Begriff Sexualität auf den Prüfstand, der heute allgemein auf Geschlechtsverkehr und Orgasmus verkürzt verstanden wird. Sie forderte die ganzheitliche Betrachtung der Sexualität als Vorbereitung für die Liebe. Zudem ging die Referentin auf mögliche psychoneuroendokrinologische Konsequenzen der Oxytozinausschüttung bei sexueller Erregung ein, um beispielhaft zu zeigen, dass Sexualität mehr ist als Körper und Empfängnisverhütung. Und sie endete mit der Frage, inwieweit Jugendliche die umfassenderen psychosomatischen Aspekte der Sexualität aufnehmen und für sich adaptieren können.

Annähernd 200 Personen waren zu der Veranstaltung gekommen und folgten ihr mit großem Interesse und lebhaften Diskussionsbeiträgen bis zum Schlusswort am Abend.

Berichterstatterin:

Dr. med. Judith Esser Mittag
Düsseldorf