Fachwissen

Kongressbericht

4. Grazer Symposium Kinder- und Jugendgynäkologie vom 09.10. - 10.10.04

aus korasion Nr. 4, Dezember 2004

Der Tagungspräsident und wissenschaftliche Leiter der Veranstaltung Prof. Dr. med. G. Tscherne (Graz) ging einleitend auf die Inhalte der Kinder- und Jugendgynäkologie sowie auf Zielsetzungen und Entwicklungen in der Subspezialität ein und schilderte die aktuelle Situation in Österreich.

Die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen in Deutschland, der Schweiz, Tschechien, Ungarn und Bulgarien steuerten Lageberichte bei. Die Subspezialität ist allenthalben gut etabliert.

Die erste wissenschaftliche Sitzung befasste sich mit klinischen und diagnostischen Fragen. Elisabeth Vytiska-Binsdorfer (Wien) stellte die Bedeutung der Blickdiagnose in der Kinder- und Jugendgynäkologie heraus und forderte hinsichtlich der Therapie ein bevorzugt konservatives Vorgehen.
Daniela Dörfler (Wien) und Isolde Wachter (München) teilten sich das Thema „Entzündliche genitale Veränderungen und Fluor vaginalis“: Im Kindesalter besteht wegen der noch mangelnden Östrogenisierung des Scheidenepithels eine erhöhte Anfälligkeit für unspezifische Vulvovaginitiden. Deshalb ist auf sorgfältige Genitalhygiene zu achten. Die Wiener Universitäts-Frauenklinik verteilt dazu
ein Merkblatt an ihre Patientinnen und hat den Text auch ins Internet gestellt. I. Wachter schilderte die Veränderungen des Ökosystems der Scheide in den Reifungsjahren und identifizierte die bakterielle Vaginose als Störung dieses Systems, bei der die Anaerobier überwiegen und der Anheftungsmechanismus der Bakterien an das Epithel verändert ist.

In der zweiten Sitzung ging es um operative Eingriffe. W. Grünberger (Wien) berichtete über die Korrektur genitaler Fehlbildungen (nie von „Miss“-bildungen sprechen!) mit dem Ziel, Organfunktionen und Fertilität zu erhalten. Marlene Heinz (Berlin) hielt die Möglichkeit des konservativen Vorgehens bei Vaginalaplasie dagegen. Dabei bedarf es einer professionellen psychologischen Führung und Anleitung, damit die junge Frau „Mut und Tat zum Sex entwickelt“ – was zu durchaus befriedigenden Resultaten führen kann.

O. Reich (Graz) sprach dann über Vorstufen des Zervixkarzinoms in der Adoleszenz. Er empfiehlt, einen HPV-Befund in dieser Altersgruppe eher abwartend zu beobachten, keinesfalls sofort operativ zu intervenieren: Eine produktive HPV-Infektion entwickelt sich in nur 3% der Fälle, und der Übergang zu Karzinomvorstufen ist eher selten. Nach dem 20. Lebensjahr ist jedoch eine neuerliche Bestandsaufnahme angezeigt. Der Referent wies mit Nachdruck darauf hin, dass das Rauchen der wichtigste Kofaktor bei der Entstehung von Malignomen der Zervix ist; darüber müssen die Mädchen unbedingt aufgeklärt werden.

Die dritte Sitzung war der Endokrinologie und dem Stoffwechsel gewidmet. W. Kiess (Leipzig) sprach über Adipositas und deren potentielle Folgen bei Mädchen und sehr jungen Frauen. Für Übergewichtigkeit ist zu 50% die genetische Determinierung maßgeblich. Das Kernproblem: Die Appetitbremse funktioniert nicht. Daneben spielen unzureichende körperliche Aktivität, Armut/ungeeignete Ernährung und mangelnde Bildung eine Rolle. Neuerdings wurden Veränderungen der Sekretion des Fettgewebes gefunden, die von der Adipositas zur Insulinresistenz führen. Der Referent rief zur Prävention auf. Er konstatierte, dass Menschen zu drastischen Veränderungen ihrer Verhaltensweisen im Stande sind, wenn es gelingt, ihnen klarzumachen, dass das Ziel für sie persönlich relevant ist.

In der vierten Sitzung ging es um bildgebende Verfahren: Sonographie und MRT. Insgesamt wurde die Bedeutung der Sonographie gerade zur Untersuchung von Kindern hervorgehoben. J. Raith (Graz) warnte wegen der sehr hohen Strahlenbelastung ausdrücklich vor einem überflüssigen Einsatz der MRT.

Am Sonntagmorgen begann die Veranstaltung mit dem Hauptthema: Veränderungen der Brust im Kindes- und Jugendalter. F. Peters (Mainz) erörterte die Bewertung häufiger Befunde und die diesbezüglichen therapeutischen Konsequenzen: Immer noch kommt es in Unkenntnis der Brustentwicklung zu Probebiopsien eines vermeintlichen Tumors und damit zur Entfernung der Brustanlage.

Ein aktuelles Problem ist die ärztliche Führung von Mädchen und sehr jungen Frauen, die aufgrund der heutigen Schönheitsnormen mit ihrer Brust nicht zufrieden sind. Der Referent empfiehlt, häufige Gespräche mit den Mädchen zur Förderung der Selbstfindung und der Persönlichkeitsentwicklung zu führen. Die Persönlichkeitsentwicklung darf nicht ganz und gar an der Brustentwicklung festgemacht werden.

In der fünften Sitzung wurden Lebensqualität und Sexualität, potentielle Fertilität und Kontrazeption bei körperlich und mental Behinderten besprochen. Die ersten beiden Referentinnen, Mara Skoff (Graz) und Bettina Weidinger (Wien) erörterten das Thema unter psychologischen und pädagogischen Gesichtspunkten.

Francesca Navratil (Zürich) befasste sich mit den Möglichkeiten der Kontrazeption. Ein Hauptproblem bei geistig Behinderten ist die Diskrepanz zwischen körperlicher Entwicklung und kognitiven Fähigkeiten, die es schwierig macht, die Grenze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung zu erkennen. Daher ist die Einwilligungsfähigkeit nicht leicht einzuschätzen.

Man muss versuchen, im Gespräch die individuellen Kompetenzen und Ressourcen greifbar zu bestimmen. Es bleibt allerdings, dass Kontrazeption zwar vor unerwünschten Schwangerschaften schützt, nicht aber das Problem der sexuellen Gewalterfahrung löst.

Beim abschließenden Thema „Kontrazeption“ gab einleitend Sabine Anthuber (München) einen Überblick über das Spektrum der Möglichkeiten und Innovationen. Elisabeth Sölder (Innsbruck) hob neben der Pille die transdermal bzw. vaginal anwendbaren Mittel Pflaster und Vaginalring als speziell für Jugendliche geeignet hervor.

W. Grünberger (Wien) berichtete über seine Studie zur transdermalen Kontrazeption bei Teenagern und betonte den großen Vorteil der besseren Compliance: „Die Pille kann 21-mal im Monat vergessen werden, das Pflaster nur 3-mal!“ Marlene Heinz (Berlin) referierte über das Blutungsverhalten bei hormoneller Kontrazeption: Die Mikropille bringt bei zyklischer Anwendung die geringsten Störungen mit sich. Daniela Dörfler (Wien) rundete das Thema mit einer Erörterung der Notfallkontrazeption mittels Levonorgestrel ab.

Das vielseitige Programm hatte ca. 200 Teilnehmer angezogen, deutlich mehr als erwartet. Die lebhaften Diskussionen zeigten das Interesse an den Ausführungen der Referenten. Die Dankbarkeit und Zufriedenheit  des Auditoriums mündeten in den Ruf: „Wir wünschen uns ein 5. Grazer Symposium Kinder- und Jugendgynäkologie!“

Berichterstatterin:

Dr. med. Judith Esser Mittag
Düsseldorf