Fachwissen
Arbeitsgemeinschaft „Forum Wachsen“:
Jedes Kind sollte “die Chance zu wahrer Größe” haben
aus korasion Nr. 3, Oktober 2004
Kinder werden nicht immer so groß wie ihre Eltern. Ist die Ursache von Kleinwuchs darin zu finden, dass die Kinder an einem ausgeprägten Wachstumshormonmangel leiden, erreichen sie ohne Behandlung nur eine Körpergröße (Körperhöhe) von ca. 130 bis 150 cm.
Bei einer Wachstumsstörung ist nicht nur die körperliche, sondern zumeist auch die gesamte psychosoziale Entwicklung des Kindes beeinträchtigt. Die Arbeitsgemeinschaft „Forum Wachsen“, ein Zusammenschluss aller Unternehmen, die ein in Deutschland zugelassenes Wachstumshormonpräparat herstellen bzw. vertreiben*, hat sich daher zum Ziel gesetzt, in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen und interessierten Ärzten die Diagnose und Therapie bei hormonell bedingten Wachstumsstörungen im Sinne der Qualitätssicherung zu optimieren.
Kleinwuchs – ein oft weit unterschätztes Problem
Welche Körpergröße für ein Kind „normal“ ist, wird weitgehend durch die genetischen Vorgaben seitens der Eltern bestimmt. Kinder sollten also in etwa so groß wie ihre Eltern werden. Manchmal bleiben Kinder jedoch im Wachstum zurück, d.h. die Körperhöhe bleibt zurück: „Man darf diesbezüglich jedoch nicht davon ausgehen, dass sich der Wachstumsrückstand später von allein ausgleicht“, erklärte der Pädiater Prof. Dr. med. Otfried Butenandt, München, am 01.07.2004 auf einer Presseveranstaltung in München**. Das heißt: Bei einer Wachstumsretardierung muss häufig behandelt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Wachstumsstörung möglichst frühzeitig erkannt wird und genügend Zeit bleibt, um therapeutisch einzugreifen.
Tab. 1: Charakteristische Symptome bei Kleinwuchs |
Proportionierter Kleinwuchs mit verzögerter Knochenreifung |
Kleine Hände und Füße |
Puppenartiges Gesicht |
Übergewicht, bezogen auf die Körperhöhe (Stammfettsucht) |
Muskulatur schwach ausgebildet |
Dünne Haut, helle Stimme |
Bei Jungen häufig kleiner Penis |
Auftreten von Unterzuckerungen (besonders bei jungen Kindern) |
Jedes Kind wird bei den Vorsorge- bzw. Schuluntersuchungen gemessen, und folglich sollten Wachstumsstörungen auch frühzeitig erkannt werden. Die erhobenen Daten werden jedoch häufig nicht analysiert, und der eventuell eintretende, bleibende Schaden wird dann auch nicht früh genug erkannt. Bei jedem Kind, dessen Körperlänge bzw. Körperhöhe unterhalb der 3. Perzentile der Norm liegt oder dessen Wachstumsgeschwindigkeit deutlich geringer ist, als es der Altersnorm entspricht, müssen weitergehende Untersuchungen erfolgen, sagte O. Butenandt.
Im Wesentlichen hängt das normale Wachstum von folgenden Faktoren ab:
- Natürlich wird die Körperhöhe, die ein Kind bzw. Jugendlicher erreicht, wesentlich vom genetischen Potential beeinflusst: Kleine Eltern werden kleinere Nachkommen haben als größere Eltern.
- Voraussetzung für ein normales Wachstum sind sodann eine adäquate Ernährung und das Fehlen schwerer Erkrankungen: Sowohl eine Mangelernährung als auch schwere chronische Erkrankungen führen zu einer Mindergröße.
- Auch kann das Wachstum bereits dadurch gestört sein, dass Zuneigung und Liebe bzw. soziale Integration fehlen.
- Gleichermaßen können Umwelteinflüsse – z.B. Nikotin- oder Alkoholmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft – einen Kleinwuchs bedingen.
- Nicht zuletzt muss das körpereigene Hormonsystem uneingeschränkt funktionieren, damit das Wachstum gut voranschreitet. Das wichtigste Hormon im Hinblick auf die Zunahme der Körperhöhe ist das Wachstumshormon.
Ein hormoneller Kleinwuchs kann behoben werden
Beim hormonellen Kleinwuchs fehlen ein oder mehrere, für das Wachstum notwendige Hormone weitgehend oder vollständig. Dieser Mangel kann auf ganz unterschiedlichen, angeborenen oder erst im Laufe der Kindheit auftretenden Ursachen beruhen. Für die Steuerung des Wachstums sind das Wachstumshormon der Hypophyse und die Schilddrüsenhormone entscheidend verantwortlich.
Um einen Wachstumshormonmangel nachzuweisen, müssen serielle Bestimmungen der Wachstumshormonspiegel im Blut – eventuell nach Stimulation mit Pharmaka – durchgeführt werden. Im Gegensatz zu allen anderen Formen des Kleinwuchses kann ein Wachstumshormonmangel ursächlich behandelt werden. Bei frühzeitigem Behandlungsbeginn können betroffene Kinder unter der Zufuhr des fehlenden Hormons bis zum Ende der Wachstumsperiode eine normale Körperhöhe erreichen.
Früherkennung auch bei intrauteriner Wachstumsverzögerung von großer Bedeutung
Als intrauterinen (bzw. primordialen) Kleinwuchs bezeichnet man eine vorgeburtlich eingetretene, schon bei der Geburt deutliche Wachstumsretardierung. Die Ursachen bleiben in etwa der Hälfte der Fälle unklar.
Die erkennbaren Ursachen einer intrauterinen Wachstumsverzögerung sind im Wesentlichen:
- Chronische Erkrankungen der Mutter, Nikotin-, Alkohol- bzw. Medikamentenabusus der Mutter in der Schwangerschaft;
- Vorgeburtliche Infektionskrankheiten des Kindes, Störungen des Erbgutes des Kindes, gestörte intrauterine Versorgung des Kindes bei Mehrlingsschwangerschaft;
- Funktionsstörungen der Plazenta.
Häufig ist das Wachstum der betroffenen Kinder auch nach der Geburt weiterhin verlangsamt, so dass sie als Erwachsene eine Körperhöhe unterhalb der Norm aufweisen. Außerdem ist bei diesen Kindern das Risiko erhöht, an einem Diabetes mellitus zu erkranken oder Herz-Kreislauf-Leiden zu entwickeln, berichtete O. Butenandt.
Die Diagnose sollte möglichst bereits bei der Geburt des Kindes verifiziert werden, um den Eltern und dem Kind viele Belastungen zu ersparen. Denn je früher eine Behinderung erkannt wird, desto eher können durch eine gezielte und frühzeitig einsetzende Behandlung körperliche, geistige und psychische Beeinträchtigungen und Schäden vermieden werden. Auf keinen Fall darf man sagen: „Das wächst sich schon aus.“
Seit 1986 wird bei Wachstumshormonmangel nur noch humanes rekombinantes Wachstumshormon verwendet, das von genetisch veränderten Einzellern ohne Kontakt zu menschlichem Gewebe gebildet wird. Es steht in unbegrenzten Mengen zur Verfügung und wird in unterschiedlichen Dosierungen weltweit eingesetzt.
Das Wachstumshormon wird nicht nur bei einem Mangel an diesem Hormon angewandt, sondern auch bei Krankheiten, bei denen Kleinwuchs trotz normaler körpereigener Wachstumshormonproduktion auftritt. In Deutschland ist die Therapie mit humanem rekombinanten Wachstumshormon außer bei Kindern mit Wachstumshormonmangel bei kleinwüchsigen Kindern mit Ullrich-Turner-Syndrom, mit Prader-Willi-Syndrom, mit chronischer Niereninsuffizienz sowie bei Kindern nach intrauterinen Wachstumsstörungen zugelassen.
Andere Länder sind weniger restriktiv. In den USA ist die Therapie mit Wachstumshormon zudem beim so genannten idiopathischen Kleinwuchs zugelassen, und in Australien haben alle deutlich zu kleinen Kinder das Recht auf eine Therapie mit Wachstumshormon, unabhängig von der gestellten Diagnose.
Die Therapie mit Wachstumshormon besteht aus der täglichen Injektion von Wachstumshormon. Das Ziel ist, einen Mangel dieses körpereigenen Hormons auszugleichen bzw. das Wachstum anzuregen. Der Erfolg einer Therapie mit Wachstumshormon hängt vom Ausmaß des Längendefizits, vom Alter des Kindes, aber auch vom Knochenalter und insbesondere von der Art der zugrunde liegenden Störung bzw. Erkrankung ab: Ein kleinwüchsiges Kind mit einer Schilddrüsenunterfunktion wird mit Schilddrüsenhormon und ein Kind mit einer Zöliakie wird diätetisch und nicht mit Wachstumshormon behandelt.
Auch kann der zu frühe Start einer Therapie mit Wachstumshormon bei intrauterinem Kleinwuchs ebenso falsch sein wie ein zu langes Abwarten – wegen der sich dann schließenden Wachstumsfugen, wie Prof. Dr. med. Rolf Peter Willig von der Kinder- und Jugendklinik der Universität Hamburg zu bedenken gab. „Deshalb sind die Längenmessungen bei den Vorsorgeuntersuchungen so entscheidend.
Körpergrößen unterhalb der Norm müssen realisiert werden, damit diagnostische Schritte in Spezialzentren eingeleitet werden können. Erst dann kommt eine Wachstumshormontherapie in Betracht.“
Unter der Therapie mit Wachstumshormon wachsen am besten Kinder mit nachgewiesenem Wachstumshormonmangel, am schlechtesten Kinder mit schweren Skelettdysplasien, so z.B. einer Achondroplasie. Zu beachten ist ferner, dass bei Kindern mit Skelettdysplasien schwere Nebenwirkungen durch Verknöcherungen an Nervenaustrittspunkten entstehen können.
Andere Nebenwirkungen wie Erhöhung des Hirndrucks, Entstehung eines Diabetes mellitus oder eine Hüftkopfablösung sind selten. Das heißt: Das Wachstumshormon gilt als „gutmütige“ Substanz.
Berichterstatterin:
Christiane Schaefer
Ratingen