Fachwissen

Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom:

Liegen möglicherweise Variationen im Anti-Müller-Hormon-Gen vor?

P. Oppelt, R. Strick, P. Strissel und M.W. Beckmann

aus korasion Nr. 3, Oktober 2004

Das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKHS) mit einer Inzidenz von 1 auf 4 000 weibliche Lebendgeborene ist durch das kongenitale Fehlen von Uterus, Zervix und oberer Vagina charakterisiert, das auf eine embryonale Entwicklungsstörung der Müller-Gänge zurückzuführen ist (1). In der Literatur sind familiäre Häufungen beschrieben, wenn auch ohne klare Vererbungsmuster. MRKHS-Patientinnen zeigen einen unauffälligen Karyotyp (46,XX) und weisen normale sekundäre Geschlechtsmerkmale auf. Klinisch wird das MRKHS in folgende Subtypen unterteilt:

  • Typisches MRKHS mit normal entwickelten Eileitern und Ovarien sowie normalem renalen System;
  • Atypisches MRKHS: Es bestehen zusätzlich renale, ovarielle oder andere Veränderungen des Reproduktionstraktes;
  • MURCS (Müllerian-Renal-Cervico-Thoracic Somite Abnormalities): Diese ausgeprägteste, aber sehr seltene Form ist mit renalen oder skelettalen Veränderungen und/oder mit einer somitischen Dysplasie verbunden (2).

Die Ursache für das MRKH-Syndrom ist bis heute unbekannt. Auch genetische Veränderungen konnten bislang nicht nachgewiesen werden.

Biologie des Reproduktionstraktes

Die genetische und entwicklungsbiologische Kontrolle des humanen weiblichen und männlichen Reproduktionstraktes in utero ist ausführlich beschrieben (3): Etwa um die 4. embryonale Woche entwickeln sich Gonaden aus mesodermalen Regionen, d.h. aus dem genitalen Brückenepithelium. Aus diesen bi-potentiellen Gonaden formen sich beim weiblichen Embryo (XX) die Müller-Gänge aus und entwickeln sich zu Uterus, Zervix und oberer Vagina. Die Wolff’schen Gänge degenerieren bei fehlendem Testosteron.

Beim männlichen Embryo (XY) vereinigen sich die bi-potentiellen Gonaden zu den Wolff’schen Gängen. Die Müller-Gänge degenerieren aufgrund der Ausschüttung des Anti-Müller-Hormons (AMH), welches von den männlichen Sertoli-Zellen produziert wird.

Die skelettalen und renalen Abnormitäten bei MRKHS-Patientinnen können – insbesondere beim MURCSPhänotyp – damit erklärt werden, dass das Skelett vom embryonalen Mesoderm und das renale System von den Wolff’schen bzw. den meso-nephritischen Gängen abstammt (3).

Ovarien können beim MRKHS vorhanden sein, weil sie sich aus primitivem Ektoderm entwickeln. Der Nachweis von ovariellen Hormonen im Serum von MRKHS-Patientinnen (Typ I) spricht für eine normale ovarielle Funktion.

Zielsetzung der Untersuchung

Mit Hilfe der DNS-Analyse der Promotorregion des Anti-Müller-Hormon(AMH)-Gens und des Transkriptionsfaktors SOX9 sollte die Hypothese geprüft werden, ob DNS-Polymorphismen bzw. Variationen im AMHPromotor oder im Transkriptionsfaktor SOX9 von MRKHS-Patientinnen die Transkription des AMH-Gens und die Expression des AMH konstitutiv aktivieren und somit zur Degeneration der Müller-Gänge führen könnten.

Material und Methoden

Es nahmen 30 MRKHS-Patientinnen an der klinisch-molekulargenetischen Studie teil. Die Patientinnen waren zwischen 16 und 36 Jahre alt (Median: 23,8 Jahre). Bei zwölf Patientinnen handelte es sich um ein typisches MRKHS, bei elf Patientinnen um ein atypisches MRKHS sowie in sieben Fällen um einen MURCS-Phänotyp. Das Kontrollkollektiv bestand aus 48 Frauen, die mindestens ein Kind geboren hatten.

Abb. 1: Promotorregion des AMH-Gens einschließlich des letzten Exons des SF3a2-Gens und des ersten Exons des MH-Gens.

Bei allen Teilnehmerinnen wurde die Gesamt-DNS aus dem Blut isoliert. Anschließend wurden das Exon 1 und das Exon 2 von SOX9 sowie auch der AMH-Promotor inklusive eines Teils des letzten Exons des konstitutiv exprimierten Gens SF3a2 und des ersten Exons des AMH-Gens mit Hilfe einer Polymerase-Kettenreaktion (PCR) amplifiziert (Abb. 1).

Zur Verifizierung, ob es zu einer Aktivierung des AMH-Gens gekommen war, wurde zudem bei allen Studienteilnehmerinnen die Serumkonzentration des Anti-Müller-Hormons bestimmt.

Ergebnisse der Untersuchung

  1. Es konnte keine Deletion (Fehlen von Basenpaaren) oder Substitution (Einfügen von Basenpaaren) im Bereich des AMH-Promotors festgestellt werden. Auch konnte eine direkte Aktivierung des AMH-Gens durch das SF3a2-Gen ausgeschlossen werden.
  2. Es wurden keine Veränderungen des Stop-Kodons sowie des Poly-A-Signals von SF3a2 detektiert, so dass ein Durchlesen des SF3a2-Proteins in das AMH-Protein ausgeschlossen werden konnte.
  3. Bei der Analyse des Plus- und Minus-Stranges der DNS-Sequenzen der MRKHS-Patientinnen wurden fünf verschiedene DNS-Polymorphismen detektiert, die im letzten Exon von SF3a2 und im AMH-Promotor lokalisiert waren. Diese Polymorphismen konnten gemäß dem Sequenzprofil als hetero- oder homozygot bestimmt werden (Abb. 1). Im Vergleich zum Kontrollkollektiv konnte jedoch kein signifikanter Unterschied ermittelt werden.
  4. Bei der Untersuchung der AMHKonzentration im Serum der Patientinnen konnte kein Unterschied gegenüber dem Kontrollkollektiv gefunden werden (MRKH-Patieninnen: 44,44 pM, Kontrollgruppe: 45,08 pM). Es war daher davon auszugehen, dass keine konstitutive AMH-Übersekretion vorlag.
  5. Bei der Sequenzierung von Exon 1 und Exon 2 des Transkriptionsproteins SOX9 konnten keine Genvariationen nachgewiesen werden. Eine Aktivierung des Promotors (aufgrund eines veränderten SOX9) war somit auszuschließen.

Schlussfolgerung

Genetische Ursachen für dasMRKHSyndrom, charakterisiert durch ein kongenitales Fehlen von Uterus, Zervix und oberer Vagina, also eine fehlende embryonale Entwicklung der Müller Gänge, sind bis dato unbekannt. Eine Überexpression des AMH-gens, welches direkt mit dem Abbau der Müller-Gänge einhergeht, konnte nicht verifiziert werden. Weitere Faktoren des AMH-Signalweges werden in neuen Projekten charakterisiert und analysiert.

Literatur:

  1. Griffin JE, Edwards C, Madden JD, Harrod MJ, Wilson JD. Congenital absence of the vagina. The Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser syndrome. Ann Intern Med 85: 224-236, 1976;
  2. Willemsen WN. Combination of the Mayer-Rokitansky-Küster and the Klippel-Feil syndrome – a case report and literature review. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 13: 229-235, 1982;
  3. Mackay S. Gonadal development in mammals at the cellular and molecular levels. Int Rev Cytol 200: 47-99, 2000;
  4. Oppelt P, Strissel PL, Kellermann A, Seeber S, Humeny A, Beckmann MW, Strick R, Correlation of DNA Sequence Variations of the Entire Anti-Müllerian Hormone (AMH) Gene  promoter and AMH Protein Expression with the Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrome. Hum Reprod 2004, in press.

Verfasser:

Dr. med. P. Oppelt,
Dr. rer. nat. R. Strick
Dr. (Ph.D.) P.L. Strissel und
Prof. Dr. med. M.W. Beckmann

Friedrich-Alexander-Universität
Frauenklinik
Universitätsstraße 21-23
91054 Erlangen