Fachwissen

Ergebnisse der IGLU-Nachuntersuchung:

Uterusgrößen von jungen Frauen mit Ullrich-Turner-Syndrom nach Wachstumshormon-Therapie und Östrogen- Substitution

Helmuth-G. Dörr, Markus Bettendorf , Berthold P. Hauffa, Otto Mehls, Carl-Joachim Partsch, Elfriede Said, Sabine Sander, Hans-Peter Schwarz, Nikolaus Stahnke, Heiner Steinkamp und Michael B. Ranke für die Deutsche IGLU-Gruppe

aus korasion Nr. 3, Oktober 2006

Kleinwuchs und Gonadeninsuffizienz sind die wichtigsten klinischen Merkmale bei Patientinnen mit Ullrich-Turner-Syndrom (UTS). Die ovarielle Insuffizienz betrifft etwa 90% der UTS Mädchen. Eine spontane Pubertät ist nur bei 10-16% der Mädchen beobachtet worden, spontane Schwangerschaften sind äußerst selten (Conway, 2002; Hovatta, 1999; Pasqui-no et al., 1997). Nur mittels einer adäquaten Substitution mit Östrogenen kann eine normale sexuelle Entwicklung und Skelettentwicklung induziert werden (Saenger et al., 2001).

Ohne Substitution mit Östrogenen zeigen die meisten UTS-Frauen keine pubertäre Entwicklung und haben eine primäre Amenorrhoe. Der Östrogenmangel wird auch durch die zu kleine Uterusgröße reflektiert (Haber und Ranke, 1999; Mazzanti et al., 1997; Shawker et al., 1986).

Daten über die Wirkung der Östrogene auf die Uterusgröße bei Mädchen mit UTS sind in der Literatur jedoch bisher nur selten mitgeteilt worden (McDonnell et al., 2003; Paterson et al., 2002; Snajderova et al., 2003).

Bei erwachsenen UTS-Frauen, die an Fertilitätsprogrammen teilgenommen haben, wurde ein erhöhtes Abortrisiko festgestellt, welches zum Teil auf die unzureichende Gebärmuttergröße bezogen wurde (Foudila et al., 1999; Hovatta, 1999; Khastgir et al., 1997). Daher könnte die Induktion einer normal großen Gebärmutter ein anderes wichtiges Ziel der Östrogen-Therapie bei UTS-Frauen sein. Allerdings stellt sich die Frage, ob man bei UTS-Frauen überhaupt eine normale Größe der Gebärmutter erreichen kann, wenn die Pubertät mit den derzeit empfohlenen Östrogendosen induziert wird.

Unsere Analyse hatte zum Ziel, die Uterusgröße von jungen erwachsenen UTS-Frauen mittels einer standardisierten sonographischen Untersuchung nach Therapie mit rekombinantem humanen Wachstumshormon (hGH) und nach Induktion der Pubertät mit Östrogenen zu beurteilen. Die auxologischen Daten dieser Patientinnen (nach hGH-Therapie) wurden an anderer Stelle bereits mitgeteilt (Ranke et al., 2002).

Patientinnen und Methoden

Die in diese Studie eingeschlossenen UTS-Patientinnen entsprachen einer Gruppe von 188 Patientinnen der Deutschen IGLU-Nachuntersuchungsstudie 2001. Mit der „Internationalen Genotropin-Langzeit-Untersuchung“ (IGLU), dem deutschen Segment von KIGS (Pfizer International Growth Data Base), werden die Daten von UTS-Patientinnen aus 96 deutschen Zentren erfasst.

Das Projekt wurde in erster Linie konzipiert, um die Ergebnisse der Wachstumshormon(GH)-Behandlung bei UTS-Patientinnen zu beurteilen: Unter der GH-Behandlung (mittlere Dosis: 0,29mg/kg pro Woche) wurden die Patientinnen regelmäßig alle 4 bis 6 Monate von den teilnehmenden Ärzten angesehen. Die Nachuntersuchung erfolgte nach Ende der GH-Therapie auf freiwilliger Basis entsprechend einem standardisierten Protokoll, das von den lokalen ethischen Komitees im Bereich der teilnehmenden Institutionen genehmigt worden war.

Die Befunde der Karyotypisierung wurden von den beteiligten Ärzten geliefert. Zusätzlich zu den anthropometrischen Daten in Bezug zur GH-Therapie wurden die Maße des Uterus gesammelt. Auf diese Weise konnten die vollständigen Daten zu Länge und Volumen des Uterus von 75 UTS-Patientinnen erhoben werden.

Bei allen Patientinnen musste die Pubertät mit Östrogenen induziert werden. Zur Induktion wurden Ethinylestradiol (n = 18), konjugierte Estrogene (n = 17) oder Estradiolvalerat (n = 38) in niedrigen Dosen verwendet. Bei 2 Patientinnen wurde ein orales Kontrazeptivum eingesetzt. Nach 12-18 Monaten wurde zyklisch ein Progestagen hinzugefügt, um einen normalen Menstruationszyklus nachzuahmen. Zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung waren 66/75 Patientinnen auf zyklisches Östrogen und Progestagen eingestellt, 2 Patientinnen (Karyotyp 45,X) erhielten keine Östrogene, für 7 Patientinnen (Karyotyp 45,X) lagen keine diesbezüglichen Daten vor.

Die Evaluation der Gebärmuttergröße mittels transabdominaler Sonographie wurde von den teilnehmenden Institutionen nach derselben bildlichen Vorlage, d.h. nach dem gleichen Schema durchgeführt, um die Messungen der Gebärmutter zu standardisieren. Die Gebärmutterlänge wurde in cm gemessen und das Uterusvolumen nach der Formel berechnet: Volumen (ml) = Querdurchmesser x Breite x Länge x 0,5. Die Daten wurden anhand der von V. Pelzer publizierten Referenzwerte für gesunde deutsche Mädchen (Pelzer, 1991) in SDS-Werte übertragen.

Die anthropometrischen Daten wurden nach bereits beschriebenen Kriterien analysiert: Bezüglich der Körperhöhe legten wir die Referenzen von Ranke et al. zugrunde (Ranke et al., 1988); die Standardabweichungs-Scores (SDS) wurden für das jeweilige Alter berechnet. Die Pubertät wurde entsprechend den Tanner-Stadien beurteilt. Die Daten wurden mittels Varianzanalyse (ANOVA) berechnet und als Mediane, als Minimal- und Maximalwerte dargestellt. Ein Wert von p < 0,05 wurde als signifikant angesehen.

Ergebnisse

Die 75 UTS-Patientinnen wurden entsprechend dem Karyotyp in 4 verschiedene Gruppen eingeteilt. Die Mehrheit der Patientinnen (78,6%) wies den Karyotyp 45,X auf, wohingegen die Zahl der Frauen mit anderen Karyotypen niedrig lag. Dies wurde auch schon bei der Analyse der Daten der gesamten Kohorte von 188 Patientinnen beobachtet (Ranke et al., 2002). Alle Patientinnen mit Karyotyp 45,X/46,XY zeigten einen normalen weiblichen Phänotyp, d.h. keine männlichen Strukturen, hatten eine Gebärmutter und hatten sich einer Gonadektomie unterziehen müssen.

Die wichtigsten klinischen Merkmale (Mediane) werden in Tabelle 1 aufgeführt. Hinsichtlich Alter, Körperhöhe und BMI-Werten fanden sich keine signifikanten Unterschiede in den Gruppen.

Tab. 1: Klinische Merkmale von UTS-Patientinnen entsprechend dem
Karyotyp (Medianwerte, Min.-Max.)
Variable Gruppen
  45 X 45 X/46 XX 45 X/46 X,i(Xq) 45 X/46 XY
n 59 4 6 6
Alter
(Jahre)
19,7
(16,3-30,8)
19,9
(19,3-24,4)
18,0
(16,1-26,0)
18,4
(18,8-21,1)
Körperhöhe
(cm)
152,6
(141,1-167,3)
148,0
(144,6-152,6)
150,8
(143,5-162,6)
151,4
(148,2-157,5)
Körperhöhe (SDS)
(Ranke)
1,03
(-0,85-3,44)
0,29
(-0,28-1,03)
0,74
(-0,46-2,61)
0,84
(0,31-1,84)
BMI
(kg/m2)
23,7
(17,7-41,5)
27,6
(20,7-36,1)
23,1
(21,8-37,9)
20,1
(19,5-23,5)
Tanner-Stadium B 3 (18,6 %)
B 4 (27,1 %)
B 5 (54,3 %)
-
B 4 (25,0 %)
B 5 (75,0 %)
-
B 4 (50 %)
B 5 (50 %)
B 3 (33,3 %)
B 4 (16,7 %)
B 5 (50,0 %)
Östrogen-Therapie
Keine Daten (n=7)
Keine Therapie (n=2)
84,8 %
11,8 %
3,4 %
100 % 100 % 100 %
Uteruslänge
(cm)
5,7*
(2,8-10,0)
7,2
(5,8-9,0)
5,2
(3,8-6,6)
5,7
(5,0-6,5)
Uteruslänge
(SDS)
-0,70*
(-3,8-3,4)
0,60
(-0,7-2,4)
-1,35
(-2,8-0,0)
-0,66
(-1,6 - -0,1)
Uterusvolumen
(ml)
17,5*
(4,9-70)
32,7
(11-35)
11,4
(7-29)
12,5
(2,3-47)
Uterusvolumen
(SDS)
-1,10*
(-2,62-5,22)
1,59
(-1,89-1,0)
-1,84
(-2,37-0,28)
-0,95
(-2,94-2,45)
*Die Werte wurden für 50/59 UTS-Patientinnen berechnet.

Nebenwirkungen nach der GH-Therapie wurden bei keiner Patientin beobachtet.
Trotz der Östrogen-Therapie (siehe Tabelle 2) ergab sich bei einigen jungen Frauen mit dem Karyotyp 45,X (n=11; 18,6%) und 45,X/46,XY (n = 2) eine unvollständige Brustentwicklung (Tanner B3); alle diese UTS-Frauen standen zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung unter einer Östrogen-Substitution.

Tab. 2: Merkmale von UTS-Patientinnen in Relation zur Induktion
der Pubertät (Medianwerte, Min.-Max.)
Variable Gruppen
  45 X 45 X/46 XX 45 X/46 X,i(Xq) 45 X/46 XY
n 59 4 6 6
Alter (Jahre)
bei Beginn Östrogen
14,6
(11,8-21,7)
15,2
(14,4-16,9)
15,0
(14,1-17,3)
14,2
(13,1-17,9)
Alter (Jahre)
bei Start Gestagen
16,1
(12,8-22,8)
16,9
(14,4-19,3)
16,5
(15,0-18,0)
15,2
(14,2-16,6)
Alter (Jahre)
bei der Menarche
16,2
(12,5-23,9)
16,0
(13,8-19,3)
17,3
(15,1-24,4)
Keine Daten
Dauer (Jahre) der
Östrogen-Therapie
5,3
(1,5-10,7)
5,3
(3,6-7,4)
1,9
(1,6-4,4)
2,5
(0,8-7,8)

Die Tabelle 2 zeigt ferner verschiedene chronologische Parameter wie Alter bei Beginn der Östrogensubstitution, Alter bei Start der zyklischen Therapie, Alter bei der Menarche und die Dauer der Östrogentherapie (d.h. die Dauer der Therapie von deren Beginn bis zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung). Die Parameter unterscheiden sich nicht signifikant zwischen den Gruppen. Die Daten über das Alter bei der induzierten Menarche der Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X/46,XY fehlten.

Insgesamt wurden den Mädchen die Östrogene erst ab einem relativ späten Alter verabreicht. Die Patientinnen waren daher zum Zeitpunkt der Menarche relativ alt. Die Dauer der Östrogen-Therapie konnte in der Gruppe 45,X nur bei 50/59 UTS-Frauen berechnet werden.

Die Uterusmessungen sind in Tabelle 1 wiedergegeben. Die Daten der Gruppe mit dem Karyotyp 45,X wurden nur für die UTS-Frauen berechnet, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung Östrogene erhielten (n = 50). Nach Umrechnung der Daten in SDS-Werte (Mediane) wiesen nur die Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X/46,XX eine normale Länge mit 0,6 SDS und ein normales Volumen mit 1,59 SDS auf. Da die Zahl der Patientinnen in den anderen Gruppen zu klein war, konnten keine signifikanten Unterschiede errechnet werden. Die 2 Patientinnen mit Karyotyp 45,X, die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung keine Östrogene erhielten, wiesen mit 4cm (-2,6 SDS) und 4,8cm (-1,8 SDS) kleine Gebärmutterlängen sowie ein Uterusvolumen von nur 8ml (-2,2 SDS) und 11ml (-1,9 SDS) auf.

In der Literatur wird berichtet, dass die Uteruslängen von jungen gesunden Frauen normalerweise zwischen 5 und 8cm liegen (Cohen und Haller, 1989). Vergleicht man mit diesen Werten, dann hatten 42/50 (84,0%) der UTS-Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X eine normale Länge, aber 8/50 (16,0%) eine zu geringe Länge. Auch alle 4 Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X/46,XX, drei der 6 Patientinnen mit 45,X/46,X,i (Xq) und vier der 6 Patientinnen mit 45,X/46,XY hatten eine normale Gebärmutterlänge. Insgesamt hatten 13/66 UTS-Patientinnen (19,6%), die zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung Östrogene erhielten, eine zu geringe Uteruslänge von < 5cm. Im Vergleich mit den Referenzdaten von V. Pelzer (Pelzer, 1991), die wir für die SDS-Berechnungen verwendeten, hatten 13/50 (26%) der UTS-Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X eine Länge < -2 SDS und 9/50 (18%) ein Volumen < -2 SDS.

Um mögliche Einflussfaktoren auf das Uteruswachstum zu identifizieren, wurden Uteruslänge und -volumen mit verschiedenen Parametern während der Behandlung in Beziehung gesetzt. Die Ergebnisse für die UTS-Mädchen mit Karyotyp 45,X sind in Tabelle 3 dargestellt: Es konnte keine Korrelation zwischen der Uterusgröße und den verschiedenen Parametern gefunden werden. Auch die Körperhöhe der Patientinnen zeigte keine Korrelation mit der Uterusgröße.

Tab. 3: Korrelation von Gebärmuttergröße und verschiedenen klinischen
Merkmalen bei UTS-Mädchen mit dem Karyotyp 45, X
Variable Uteruslänge Uterusvolumen
  n r p r p
Alter bei Beginn
Östrogen
59 0,16 ns 0,11 ns
Alter bei Beginn
zyklische Therapie
59 0,14 ns 0,04 ns
Dauer der
Östrogen-Therapie
59 0,18 ns 0,28 0,07
Tanner-
Stadium B
59 0,15 ns 0,11 ns

Diskussion

Über 90% der Mädchen mit UTS zeigen keine normale puberale Entwicklung und haben eine primäre Amenorrhoe. Daher ist eine optimale Östrogen-Therapie für die Einleitung der Pubertät und für die normale sexuelle Entwicklung sowie das psychosoziale Wohlbefinden der Patientinnen sehr wichtig (Sas und de Muinck Keizer Schrama, 2001). Für erwachsene UTS-Patientinnen liegt der Fokus auf einer adäquaten Östrogen-Substitution zur Verhütung der Osteoporose und zur Reduktion des Atherosklerose-Risikos (Conway, 2002).

Der Beginn der Pubertät wird von einer Zunahme der Gebärmutterlänge, des Fundusdurchmessers und der Endometriumdicke begleitet.

Jede spontane oder induzierte Stimulierung des Uterus mit Östrogenen kann mit einer Ultraschalluntersuchung beurteilt werden (Lippe und Sample, 1978). Verschiedene Studien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass Jugendliche mit UTS oder junge erwachsene UTS-Patientinnen ohne Östrogene eine hypoplastische Gebärmutter haben (Haber und Ranke, 1999; Mazzanti et al., 1997; Shawker et al., 1986). Der Uterus von UTS-Patientinnen ist jedoch in Abhängigkeit vom Karyotyp unterschiedlich groß: UTS-Mädchen mit Monosomie zeigen präpuberale Dimensionen. Mädchen mit einem Mosaik haben hingegen Uteruslängen, die präpubertäre bis erwachsene Ausmaße zeigen (Shawker et al., 1986); dies bestätigen auch unsere Messungen bei den UTS-Mädchen mit dem Karyotyp 45,X/46,XX. UTS-Mädchen mit normaler Ovarfunktion zeigen eine deutliche Zunahme der Uteruslänge in der Pubertät (Massarano et al., 1989).

Unsere Ergebnisse hinsichtlich des stärkeren Zurückbleibens des Uterusvolumens im Vergleich zur Uteruslänge bei UTS-Frauen bestätigen Untersuchungen, die zeigen konnten, dass der Unterschied im Uterusvolumen mehr durch die Breite als durch die Länge bedingt ist (Haber und Ranke, 1999).

C.M. McDonnell et al. berichteten über normale Uterusgrößen bei 18 UTS-Mädchen, deren Pubertät mit Östrogenen adäquat eingeleitet wurde (McDonnell et al., 2003). Unsere Daten bestätigen dies nicht. Die Diskrepanz kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass die Patientinnen von C.M. McDonnell et al. jünger als unsere waren und dass 5/18 Mädchen eine normale spontane Pubertät hatten, wohingegen bei allen unseren Patientinnen die Pubertät induziert werden musste.

Nach den Ergebnissen von W.F. Paterson et al. kann eine Östrogen-Therapie bei UTS-Mädchen zwar das lineare Wachstum der Gebärmutter beeinflussen, aber nicht die normale Reifung, so dass die Gebärmutter bei der Hälfte der Mädchen hypoplastisch bleibt (Paterson et al., 2002). Vor kurzem publizierte Daten von Snajderova et al. bestätigen dieses Ergebnis (Snajderova et al., 2003).

Auch die Wachstumshormon-Behandlung soll eine positive Wirkung auf die Gebärmuttergröße bei UTS-Mädchen haben (Sampaolo et al., 2003). Die Daten von Snajderova et al. und auch unsere Daten konnten dies jedoch nicht zeigen (Snajderova et al., 2003).

Werden UTS-Mädchen mit Wachstumshormon behandelt, dann werden Östrogene im Allgemeinen relativ spät eingesetzt, um einen vorzeitigen Epiphysenschluss und damit Nachteile auf die zu erreichende Endgröße zu verhindern (Cacciari und Mazzanti, 1999; Chernausek et al., 2000). In Bezug auf die Uterusgröße bleibt jedoch spekulativ, ob eine frühere Behandlung mit niedrigen Östrogendosen möglicherweise zu einer normalen Größe führt. In diesem Zusammenhang sind Arbeiten interessant, die zeigen konnten, dass die Ovarien von gesunden Mädchen bereits präpuberal geringe Mengen Estradiol produzieren. Andererseits konnte mittels eines ultrasensitiven Assays für Estradiol gezeigt werden, dass UTS-Mädchen im Alter zwischen 5 und 12 Jahren signifikant niedrigere Konzentrationen haben als gleichaltrige gesunde Mädchen (Wilson et al., 2003). Deshalb kann man durchaus spekulieren, dass eine physiologische minimale Estradiolsekretion in der frühen Kindheit für die Entwicklung einer normalen Gebärmuttergröße notwendig ist.

Von großem Interesse ist die Analyse hinsichtlich der zur Induktion der Pubertät verwendeten Östrogene, da gezeigt wurde, dass die normale Uterus reifung nur bei ca. 50% der UTS-Mädchen auftrat, die mit niedrigen Dosen von Ethinylestradiol behandelt worden waren (Paterson et al., 2002). Positive Effekte auf die Gebärmutterentwicklung bei Gabe einer höherentäglichen Östrogendosis nach Eintritt der Menarche wurden ebenfalls berichtet (Snajderova et al., 2003). Darüber hinaus müssen bei der Betrachtung der Uterusgröße auch strukturelle Besonderheiten der Gebärmutter bei einigen UTS-Frauen berücksichtigt werden. Dies wird durch Ergebnisse unterstützt, die belegen, dass die Gebärmutterdimensionen von UTS-Mädchen mit spontaner Pubertät zwar mit fortschreitender Pubertät zunahmen, aber insgesamt deutlich kleiner blieben als die einer Kontrollegruppe (Haber und Ranke, 1999; Mazzanti et al., 1997).

Zusammen mit der minderen Uterusentwicklung bei einem Teil unserer Patientinnen war auch die Brustentwicklung bei 18,6% der UTS-Mädchen mit Karyotyp 45,X beeinträchtigt und blieb auf der Stufe Tanner B3 stehen. Da Beginn und Verlauf von Brustentwicklung und Uteruswachstum eng miteinander korreliert sind (Bridges et al., 1996), stützen unsere Ergebnisse die Hypothese einer Entwicklungsstörung bei UTS-Mädchen, die sowohl die Uterus- als auch die Brustanlage betrifft.

Derzeit ist es nicht möglich, den kausalen Faktor bzw. die Faktoren zu definieren, die für die normale Gebärmutterentwicklung bei UTS-Mädchen letzthin verantwortlich sind. Die Frage, ob ein präpuberaler Mangel anÖstrogenen die späte Induktion der Pubertät bedingen oder – im Falle einer Substitution – die Art des verwendeten Östrogens oder die verabreichte Dosis oder strukturelle Besonderheiten der Gebärmutter dafür verantwortlich sind, dass ein Teil der Frauen mit UTS eine verminderte Uterusgröße hat, kann nicht beantwortet werden.

Unsere Daten zeigen, dass nur die UTS-Frauen mit einem Mosaik (45,X/46,XX) eine normale Uterusgröße haben, wohingegen 26% der Frauen mit einem Karyotyp 45,X eine verminderte Uteruslänge (<-2SDS) und 18% ein reduziertes Uterusvolumen (<-2SDS) haben. Die Daten zeigen aber auch, dass die Mehrheit der jungen erwachsenen UTS-Frauen unter einer adäquaten Hormonersatztherapie normale Uterusdimensionen erreichen kann.

Zusammenfassung

Ziel der Untersuchung:
Analyse der Uterusgrößen von jungen erwachsenen Ullrich-Turner-Syndrom(UTS)-Frauen nach langfristiger Wachstumshormon(GH)-Behandlung und Östrogen-Substitution.

Methoden:
Von insgesamt 188 UTS-Patientinnen aus 96 deutschen Zentren, deren Wachstum im Rahmen von KIGS (Pfizer International Growth Data Base) dokumentiert wurde, wurden
nach Beendigung der GH-Therapie im Rahmen einer standardisierten freiwilligen Nachuntersuchung Daten zur Uterusgröße erhoben.

Patientinnen:
Die Daten von 75 UTS-Patientinnen (Alter: 15,8-30,8 Jahre) waren vollständig.

Karyotypen:
45,X (78,6%), 45,X/46,XX (5,4%), 45,X/46,X,iXq (8%),45, X/46,XY (8%). Die Pubertät wurde bei allen Patientinnen mit Östrogenen induziert; zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung standen 66 Patientinnen unter zyklischer Östrogen- und Gestagen-Substitution.

Ergebnisse:
13/66 (19,6%) der UTS-Frauen, die Östrogene erhalten hatten, zeigten eine
zu kleine Uteruslänge von <5cm. Bei Berechnung der Daten (Länge, Volumen des Uterus) in SDS wiesen nur die Patientinnen mit dem Karyotyp 45,X/46,XX eine normale Länge von 0,6 SDS und ein Volumen von 1,59 SDS (Medianwerte) auf. Eine unvollständige Brustentwicklung (Tanner B3) fand sich bei den Frauen mit dem Karyotyp 45,X (n=11; 18,6%) und 45,X/46,XY (n=2). Das Alter bei Beginn der Östrogensubstitution, die Dauer der Östrogentherapie und die Art des verwendeten Östrogens korrelierten nicht mit der Uterusgröße.

Schlussfolgerungen:
Nur Frauen mit dem Karyotyp 45,X/46,XX zeigen normale Uterusgrößen, wohingegen 26% der UTS-Frauen mit dem Karyotyp 45,X eine zu kleine Uteruslänge <-2SDS und 18% ein Uterusvolumen < -2 SDS haben.

Die Untersuchung wurde mit dem Judith-Esser-Mittag-Preis 2005 der AG Kinder- und Jugendgynäkologie ausgezeichnet (1. Preis).

Teilnehmer an der IGLU-Nachuntersuchung:

H.I. Akkurt (Hamburg), W. Andler (Datteln), M. Becker (Wiesbaden), H.J. Böhles (Frankfurt), J. Brämswig (Münster), O. Butenandt (München), M. Bettendorf (Heidelberg), H.G. Dörr (Erlangen), J.H. H. Ehrich (Hannover), B. Erxleben (Potsdam), B. Griefahn (Greifswald), A. Grueters (Berlin), K. Hartmann (Frankfurt), B.P. Hauffa (Essen), F. Haverkamp (Bonn), W. Hecker (Stuttgart), U. Heinrich (Heidelberg), G.K. Hinkel (Dresden), O. Hiort (Lübeck), R. Holl (Giessen), J. Homoki (Ulm), G. Horneff (Halle), U. Ir-le (Bremen), R. Johs (Braunschweig), C. Jourdan (Herford), E. Keller (Leipzig), J. Kerstan (Hildesheim), E. Korsch (Cologne), J. Kreuder (Giessen), H.P. Krohn (Wilhelmshaven), F. Krull (Aurich), D. Kunze (Munich), M. Lakomek (Göttingen), D. Lenz (Bremerhaven), U. Leuthold (Siegen), M. Mix (Rostock), K. Mohnike (Magdeburg), M. Morlot (Hannover), R. Mühlenberg (Krefeld), H. Müller (Würzburg), C.J. Partsch (Kiel), M. Pavlovic (Freiburg), K. Rager (Bad Mergentheim), M.B. Ranke (Tübingen), W. Rauh (Trier), H.J. Rickers (Osnabrück), B. Schenk (Schwerin), D. Schnabel (Berlin), E. Schönau (Cologne), H.P. Schwarz (München), G. Simic-Schleicher (Bremen), W.G. Sippell (Kiel), N. Stahnke (Hamburg), M. Teufel (Böblingen), W. Tillmann (Minden), B. Tittel (Dresden), U. Tuschy (Erfurt), K.P. Ullrich (Gotha), W. von Petrikowsky (Freiburg), H.P. Weber (Lüdenscheid), K. Wesseler (Detmold), R.P. Willig (Hamburg), J. Wintgens (Mönchengladbach) und M. Witsch (Mannheim).

Literatur:

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Helmuth-G. Dörr
Kinder- und Jugendklinik der Universität
Loschgestraße 15
91054 Erlangen
E-Mail: helmuth-guenther.doerr@noSpam.uk-erlangen.de