Fachwissen

Das von-Willebrand-Syndrom: Probleme bereits bei der Menarche?

Günter Auerswald

aus korasion Nr. 2, Mai 2009

Ungewöhnlich starke Menstruationsblutungen bereits als Menarcheblutung oder Blutungen während der Entbindung können ein Indiz für eine pathologisch erhöhte Blutungsneigung sein. Solche Hämostasestörungen müssen frühzeitig erkannt, exakt diagnostiziert und konsequent behandelt werden. Die wichtigsten Ursachen einer hämorrhagischen Diathese sind: das von-Willebrand- Syndrom (vWS), die Hämophilie – heterozygote Konduktorin, angeborene oder erworbene Thrombozytopenie oder Thrombozytopathie sowie Medikamente.

Das von-Willebrand-Syndrom ist die häufigste hereditäre Hämostasestörung. Es besteht ein quantitativer oder qualitativer Mangel an von-Willebrand-Faktor (vWF) bei mehr oder weniger stark ausgeprägtem Faktor-VIII-Defizit.

Beim Typ 1 und Typ 2 des vWS kommt es zu einer gestörten primären Hämostase mit erhöhter Blutungsneigung, typisch sind Schleimhautblutungen. Typ 3 des vWS geht mit einem schweren Faktor- VIII-Defizit einher. Typisch sind, wie bei der Hämophilie, Gelenk- und Muskelblutungen.

Die 3 Typen des vWS:

  • Typ 1: partieller quantitativer vWF-Mangel; Häufigkeit 60–70 %
    (54 % nach Federici 2007)
  • Typ 2: qualitativer vWF-Mangel (vWF-Defekt); Häufigkeit: 20–30 % der
    vWS-Patienten
  • Typ 3: vollständiger vWF-Mangel; Häufigkeit: 1–3 %

Konduktorinnen und mögliche Ursachen einer hämorrhagischen Diathese

Die Hämophilie ist eine X-chromosomal rezessiv vererbte Blutgerinnungsstörung. Frauen erkranken entsprechend selten, können aber Konduktorinnen sein, die häufig symptomlos sind. Blutungsprobleme, auch mit verstärkten Menorrhagien oder geburtshilflichen Blutungen, haben zehn bis 15 Prozent der Hämophilie- A-Konduktorinnen und bis zu 20 Prozent der Hämophilie-B-Konduktorinnen. Ein gleichzeitiges vWS ist möglich.

Hereditäre oder erworbene Thrombozytopenien und Thrombozytopathien müssen als Ursache einer hämorrhagischen Diathese in Betracht gezogen werden (z.B. Thrombastenie Glanzmann, Bernard Soulier-Syndrom, Storage Pool Disease, Fanconi-Anämie, Wiskott-Aldrich-Syndrom, ITP usw.). Auch zahlreiche Medikamente können eine erhöhte Blutungsneigung induzieren oder eine bereits bestehende hämorrhagische Diathese verstärken.

Eine gezielte Medikamentenanamnese ist daher unabdingbar. Die wichtigsten blutungsfördernden Wirkstoffe sind Acetylsalicylsäure, nichtsteroidale Antirheumatika (z.B. Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen), Clopidogrel, Ticlopidin, Warfarin, Phenprocoumon, Heparin, Glykoprotein-IIb/IIIa-Hemmer, Ginkgo-biloba-Extrakte, Enzympräparate u.a. Die Menorrhagie ist bei Mädchen und Frauen das Kardinalsyndrom für erhöhte Blutungsneigung. Das diagnostische Vorgehen in der gynäkologischen Praxis umfasst die ausführliche Eigen- sowie Familienanamnese, klinische Untersuchung, Hb- und Ferritinbestimmung, Medikamentenanamnese sowie die Basisdiagnostik Gerinnung.

Eine mehr als sieben Tage anhaltende und verstärkte Menstruationsblutung (mehr als vier Tamponwechsel pro Tag) ist der erste Hinweis auf eine hämorrhagische Diathese. Mädchen sollten beim ersten Praxisbesuch daher gezielt nach einer Menorrhagie gefragt werden. Aufschluss geben Fragen nach Nasenbluten, Zahnfleischbluten, Blutungen nach Bagatellverletzungen, Hämatomneigung (Impfhämatom!), erhöhter Blutungsneigung nach Entbindung, Operationen, zahnärztlichen Eingriffen sowie früheren Bluttransfusionen. Eine schnelle und gezielte Eigenanamnese gelingt mit einem qualifi zierten Fragebogen. Zudem haben 80 bis 90 Prozent der Mädchen mit einem vWS eine positive Familienanamnese, so sind beispielsweise Frauen, deren Väter an Hämophilie erkrankt sind, Konduktorinnen. Erhöhte Blutungsbereitschaft bei Mutter oder Großmutter ist ebenfalls ein Indiz, Spontanmutationen sind selten.

Das diagnostische Vorgehen in der Praxis

Frauen mit einer erhöhten Blutungsbereitschaft entwickeln häufig eine Anämie, deren Nachweis den Verdacht untermauern kann. Zu bestimmen sind Hämoglobin: Normalwert bei Frauen: 12–15 g/dl; Serumferritin: Normalwert: 100 ± 60 ?g/l. Die Basisdiagnostik Gerinnung bei Verdacht auf eine hämorrhagische Diathese umfasst Quick-Wert, aPTT, Th rombozytenzahl und Thrombozytenfunktionstest (z.B. PFA 100). Diese Befunde ergänzen jedoch die Anamnese, entscheidend für weiterführende Laboruntersuchungen in einem hämostaseologischen Kompetenzzentrum ist der klinische Befund!

Autor

Dr. Günter Auerswald
Prof.-Hess-Kinderklinik
Klinikum Bremen-Mitte
St.-Jürgen-Straße 1
28205 Bremen