Fachwissen

Identität im Fluss - Mentruationserleben junger Mädchen

Gisela Gille, Cordula Layer, Birte Hinzpeter

aus korasion Nr. 2, Mai 2009

Dem Menstruationsgeschehen liegt ein durch Hormone und Gene vorgegebener hochkomplexer zyklischer Ablauf im Mädchenkörper zugrunde, durch den ab einem gewissen Alter die Fortpflanzungsfähigkeit sichergestellt wird. Das könnte mit Gefühlen von Wert und Unversehrtheit sowie generativer Potenz verbunden sein, dafür fehlt es jungen Mädchen aber an stabilem Selbstwertgefühl und Sicherheit in der sexuellen Identität. Dass der aufgeklärte Umgang mit der Menstruation eher schwerfällig verläuft und eines der letzten Tabus unserer enttabuisierten Gesellschaft ist, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass ein informierter und selbstbewusster Zugang zur Menstruation jungen Mädchen immer noch vorenthalten wird.

Wie junge Mädchen ihre Menstruation erleben

Der Mädchenkörper verändert sich in der Pubertät, und junge Mädchen stecken plötzlich in einem für sie fremden Körper. Durch die eintretende Menstruation gerät auch heute noch die weibliche Identität im wahrsten Sinne in Fluss. Die Ärztinnen unserer Arbeitsgruppe ÄGGF (Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V.) haben im Vorfeld des Symposiums in einer anonymen Umfrage Mädchen zwischen zwölf und 14 Jahren zu Beginn und im Anschluss unserer Präventionsveranstaltungen an den Schulen befragt. Abschließend konnten die Mädchen die Veranstaltung mit Schulnoten versehen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 659 Fragebögen ausgewertet. 75 Prozent der Mädchen wurden von ihrer Mutter darüber aufgeklärt, dass Mädchen eine Regel haben und „dass man erwachsen wird“. Irgendwelche dem Verständnis der Menstruation dienenden Erklärungen konnten spontan nicht erinnert werden. In den Köpfen blieb zum Beispiel: „Man kann Kinder kriegen“ oder „Man darf nicht schwimmen“. Mit der ersten Menstruation erfährt ein Mädchen, dass das Frauwerden für sie jetzt definitiv besiegelt ist. 65 Prozent der von uns befragten Mädchen hatten bereits ihre erste Menstruation, die mit all den ungewohnten Einschränkungen auf ein kindlich-unabhängiges Körpergefühl trifft. Einerseits wird sie gespannt und mit Aufbruchstimmung erwartet und daher mit einem positiven Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Geschlecht. Doch auch praktische Gründe, wie „Man hat eine Pause vom Sex“ oder „Ich fühle mich gereinigt“, wurden benannt. Andererseits konfrontiert die Regel Mädchen mit Missempfindungen, die auch schon jene definieren können, die noch gar nicht selber menstruieren.

Menstruation – Quelle von Scham und Peinlichkeit

Die negativen Assoziationen, die bei der Hälfte der Mädchen vorherrschen, beziehen sich auf den Verlust von Sauberkeit und Kontrolle (23 %), das Antizipieren oder Erleben von Schmerzen (44 %), aber auch Bewegungseinschränkungen werden beklagt. Der Körper des Mädchens wird bis heute durch das Menstruationsereignis zur potenziellen Quelle von Scham, Peinlichkeit und Entschuldigung.

Nahezu 80 Prozent der Mädchen haben die Frage nach dem Wissen um die Ursache der Bauchschmerzen mit „Nein“ beantwortet, von denen, die sie mit „Ja“ beantwortet haben, waren immerhin noch bei 15 Prozent die Begründungen falsch. Und davon, dass die Regel aus normalem und gesundem Blut bestehe, sind nur 30 Prozent der Mädchen überzeugt. Weit über die Hälfte der bereits menstruierenden Mädchen beklagte mehr oder weniger starke Schmerzen. Trifft die Dysmenorrhö der ersten fertilen Jahre samt fehlenden adäquaten Erklärungen auf ein Gefühl von Unbehaustheit im eigenen Körper, sind Verstärkerwirkungen logische Konsequenz.

Unsere Gespräche waren für viele „im Nachhinein sehr wichtig“ und machten die Mädchen glücklich. Die ärztliche Aufklärung wurde als hilfreich empfunden, weil „man jetzt weiß, was in einem passiert und keine Angst mehr haben muss“. In über 60 Prozent der Veranstaltungen erhielten die Ärztinnen die Note „sehr gut“, oft versehen mit Sternchen, weitere 32 Prozent bekamen ein „gut“. Unsere Arbeit, die seit Jahren Mädchen in der Pubertät viel Raum für mädchenrelevante Themen gibt, macht deutlich, dass Mädchen bis heute versuchen, sich irgendwie in der Menstruation einzurichten statt Freude am Weiblichsein zu entdecken. Weiblichkeit findet aber nur mit dem Körper statt und nicht möglichst weit weg davon.

Korrespondenzadresse

Dr. Gisela Gille
Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung der Frau e.V.,
Drögenkamp 1
21335 Lüneburg