Fachwissen

Lichen sklerosus im Kindes- und Jugendalter

Eine oft unerkannte genitale Hautkrankheit – Update

von Dr. Ingeborg Voß-Heine

aus korasion Nr. 4, November 2011

Lichen sklerosus (LS) ist eine häufige, chronische entzündliche, nicht ansteckende Hauterkrankung, die am ganzen Körper auftreten kann, besonders aber die Anogenitalregion beider Geschlechter betrifft. Sie ist gekennzeichnet durch heftigen Pruritus und eine, in Abhängigkeit vom Erkrankungsstadium, außerordentlich variable Veränderung des Hautbildes. Die Erkrankung kann in allen Altersgruppen auftreten, wird aber gerade in den frühen Krankheitsstadien nicht diagnostiziert. Die Dunkelziffer des LS bei Frauen und Männern ist deshalb recht groß. Zunehmend wird der LS auch bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert, dies allerdings meist erst sehr spät in fortgeschrittenen Krankheitsstadien. Unbehandelt führt sie bei Mädchen zu irreversiblen sklerotischen und atrophen Hautveränderungen und Schrumpfungen bis hin zur völligen Zerstörung der Vulvaarchitektur.

Juckreiz bei Mädchen im Kindes- und Jugendalter ist ein häufiges Symptom bei LS und wird fälschlicherweise immer noch in erster Linie als Verdacht auf eine Pilzinfektion diagnostiziert und entsprechend behandelt. Bei Kindern in der hormonalen Ruhephase (zirka zweites Lebensjahr bis Präpubertät) sind Pilzinfektionen aber nur absolut selten zu finden, da Pilze ein estrogenisiertes Milieu brauchen. Viele Mädchen werden daher in Unkenntnis über das Krankheitsbild des Lichen sklerosus in diesem Alter oft lange Zeit unnötig und falsch behandelt, was mit vielen Konsultationen einen langen Leidensweg für die Mädchen und eine massive psychische Belastung für die Familien bedeuten kann. Aufgrund des variablen Hautbildes mit Fissuren und Unterblutungen der Haut, werden Mädchen mit LS nicht selten unter der Frage des sexuellen Missbrauchs vorgestellt.

Definition und Begriffserklärung

Lichen sklerosus ist eine gutartige, erworbene, nicht infektiöse und nicht übertragbare entzündliche Hauterkrankung, besonders in der Genitalregion beider Geschlechter. Sie ist charakterisiert durch porzellanartige weißliche Hautveränderungen, die mit sklerotischer Umwandlung der betroffenen Hautareale einhergeht. Bei Jungen ist der LS synonym mit der Balanitis sklerotika obliterans (Ebert et al. 2008). Die Diagnose wird klinisch und histologisch gestellt (Merkel 2010). Unter „Lichen“ versteht man eine reaktive Verdickung der Oberhaut, unter „Sklerose“ eine reaktive, zum Beispiel durch eine Entzündung bedingte, Vermehrung des Bindegewebes mit tastbarer Gewebeverhärtung. Der früher gebräuchliche Ausdruck „et atrophikus“ entfiel 1976, weil diese Bezeichnung nur das Endstadion des LS beschreibt. In der Frühphase der Erkrankung stehen die entzündlichen Vorgänge ohne Atrophie im Vordergrund.

Ätiologie und Epidemiologie

Die genaue Ätiologie ist weitgehend ungeklärt. Sie ist vermutlich multifaktoriell mit autoimmuner, genetischer und hormonaler Komponente. Kontrovers wird ein Zusammenhang mit einer Infektion durch Borellia burgdorferi diskutiert (Merkel 2010). Lichen sklerosus tritt bei Erwachsenen häufig im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen auf, mehr als 20 Prozent der Patienten mit LS weisen Erkrankungen wie Alopezia areata, Vitiligo, systemischen Lupus erythematodes (SLE), Hashimoto Thyreoditis, primär biliäre Zirrhose, perniziöse Anämie und Diabetes mellitus auf. Bei 40 Prozent der betroffenen Patienten finden sich Schilddrüsenantikörper, Antikörper gegen Parietalzellen oder antinukleäre Antikörper.

Eine Assoziation des LS mit verschiedenen HLA-Antigenen weist auf einen genetischen Zusammenhang hin. Eine veraltete Theorie vermutete eine niedrige Estrogenproduktion als Ursache. Eine lokale oder systemische Estrogentherapie ist aber erfolglos. Ein erhöhter Androgenstoffwechsel in der weiblichen Genitalregion zu Beginn der Pubertät wurde für die Verbesserung von Befunden in dieser Zeit verantwortlich gemacht. Ein therapeutischer Nutzen von Testosteronsalben ist mittlerweile widerlegt worden. Derzeit findet sich kein gesicherter Zusammenhang zwischen Lichen sklerosus und Kontrazeption, Schwangerschaft oder Hormonersatztherapie (Patrizi et al. 2010).

Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter bei beiden Geschlechtern auftreten, bei Frauen wird der LS allerdings häufiger diagnostiziert als bei Männern (1: 6/1:10). Bei Frauen werden vielfach zwei Erkrankungsgipfel angegeben: postmenopausal und bei Kleinkindern und präpubertären Mädchen, durchschnittlich im Alter von fünf Jahren (Poindexter u. Morrell 2007). Aus Mangel an epidemiologischen Studien, erst recht bei kleinen Mädchen, ist die genaue Prävalenz weitgehend unbekannt und wird mit 1:60 bis 1:1 000 angegeben (Murphy 2010). Eine neue prospektive Studie berichtet über eine Prävalenz eines histologisch gesicherten LS von ungefähr acht Prozent (1:14) in einem Kollektiv von 2 800 erwachsenen Frauen in einer österreichischen gynäkologischen Kleinstadtpraxis (Eberz, Berghold u. Regauer 2008).

Histologie

Histologische Veränderungen betreffen Epidermis und Dermis. Im Spätstadium, das früher als Lichen sklerosus et atrophikus bezeichnet wurde, ist die Epidermis atroph und hyperkeratotisch verhornt. Auch die Ausführungsgänge der Haarfollikel und der Schweißdrüsen sind mit Hornmaterial erfüllt. Die Dermis ist hochgradig sklerosiert, zumeist zellarm mit nur wenigen Gefäßen, die ebenfalls sklerosiert sind. Die elastischen Fasern sind weitgehend zerstört, die Haut ist dünn und unelastisch. Diese Veränderungen sind oft irreversibel. Je nach Aktivität des LS können viele Entzündungszellen nachweisbar oder im ausgebrannten Endstadium keine Entzündungszellen mehr vorhanden sein. Mechanische bedingte Ruptur der sklerosierten Blutgefäßwände, aber auch ein Entzündungsinfiltrat innerhalb der Gefäßwände mit Wandnekrose der Blutgefäße (Vaskulitis) führt zu Gewebseinblutungen (Ecchymosen). Die Erkrankung zeigt im Frühstadium keine Sklerose und Atrophie.

Am Anfang steht ein dichtes, lymphohistiozytäres Infiltrat im Vordergrund, das als Reaktion auf ein bisher unbekanntes Antigen über die Blutbahn in das Gewebe einwandert und sich insbesondere in der papillären Dermis sowie entlang der Basalmembran (lichenoides Entzündungs infiltrat) nachweisen lässt. Die T-Lymphozyten dominieren im gemischtzelligen Infiltrat mit antigenpräsentierenden Zellen, Makrophagen und B-Lymphozyten. Die Lymphozyten wandern auch in das Epithel ein und zerstören die Zellen der unteren Epidermisschichten (Keratinozyten und Melanozyten), was zu Pigmentunregelmäßigkeiten und -störungen führt. Neben der mechanischen Zerstörung kommt es zu einer Ausschüttung von Zytokinen mit Ausbildung einer vakuolären Interphasendermatitis. In weiterer Folge ent wickelt sich eine Basalmembranverbreiterung, eine Sklerose der Dermis und/oder ein papilläres Ödem in der Dermis. Es ist zum Stoppen des Fortschreitens der Erkrankung notwendig, die Anzahl der Lymphozyten und indirekt die Zytokinsekretion zu reduzieren, die in weiterer Folge für die Sklerose und die irreversibeln Hautveränderungen verantwortlich sind. Die Gewinnung von Gewebe zu Diagnosesicherung und auch zur Therapiekontrolle beziehungsweise -entscheidung sollte bei Erwachsenen an zwei Stellen per Punchbiopsie am Übergang von gesunder zu erkrankter Haut erfolgen. Im Kindesalter wird von bioptischen Sicherungen abgesehen.

Symptome bei Mädchen und klinisches Bild

Die Kernsymptome sind heftigster chronischer Juckreiz, Wundsein, Dysurie und Blutspuren im Slip. Schmerzhafter Koitus und schmerzhafte Defäkation mit Fissuren und Blutungen sind Zeichen des fortgeschrittenen LS. Oft machen massive klinische Ausprägungen keinerlei Beschwerden und werden zufällig entdeckt. Die Erkrankung kann durch mechanische Manipulationen wie Kratzen, Reiben oder Trauma sowie andere Reizzustände getriggert werden. Die Hautveränderungen entstehen häufig achtförmig um Anus- und Genitalregion (Abb. 3). Im Frühstadium der Erkrankung findet sich oft eine glänzende Hautrötung (Erythem) mit/ohne fleckförmiger Depigmentierung, beispielsweise periklitorial oder im Bereich der kleinen Labien. Oft verursacht eine nur minimale Hyperkeratose heftigen Juckreiz (Abb. 4). Das Vollbild der Erkrankung ist kompliziert durch Fissuren, Rhagaden, Einblutungen, Depigmentierungen und letztlich irreversibler Zerstörung der Vulvaarchitektur mit Atrophie der kleinen Labien und der Klitoris sowie Vernarbung und Schrumpfung mit Schmerzen beim Koitus und schmerzhafter Defäkation. Der LS verläuft chronisch, oft schubweise mit längeren Ruheperioden. Rezidive sind typisch. Es kann zu partiellen und vollständigen Rückbildungen kommen, eine Atrophie bildet sich meist nicht zurück (Smith u. Fischer 2009). Die frühere Annahme, dass sich die Erkrankung mit Erreichen der Pubertät zurück bilde, stimmt für die Mehrzahl der jungen Patientinnen nicht. Noch fehlen aber hierzu prospektive Verlaufskontrollstudien.

Lichen sklerosus – eine Präkanzerose?

Im Erwachsenenalter wird in der alten Literatur ein Risiko der Entwicklung eines Plattenepithelkarzinoms auf dem Boden eines chronischen, vor allem nicht oder nicht konsequent behandelten Lichen sklerosus von vier bis sechs Prozent angegeben (Funaro 2004). Heute geht man bei regelmäßiger gynäkologischer Kontrolle eher nur von einem Prozent aus (Regauer 2011). Für den kindlichen Lichen sklerosus fehlen dazu Daten und Erkenntnisse; auch darüber, ob eine effektive Therapie und langfristige regelmäßige Kontrollen das Erkrankungsrisiko – falls es überhaupt besteht – vermindern können (Poindexter u. Morrell 2007).

Eine kausale Therapie gibt es nicht!

Für die Betroffenen zählt eine frühe und adäquate Diagnostik sowie ein früher Behandlungsbeginn, um die Beschwerden zu lindern und ein Fortschreiten der Erkrankung bis hin zur destruktiven Atrophie des äußeren Genitale zu verhindern. Eine kausale Therapie gibt es jedoch nicht. Mittel der Wahl ist die topische Anwendung eines hochpotenten Kortikoids (Clobetasolproprionat Creme 0,05 Prozent). Kortison wirkt antilymphozytär, antihyperkeratotisch und reduziert daher schnell das lymphozytäre Infiltrat und den ausgeprägten Juckreiz (Abb. 5). Milde Kortisonpräparate (zum Beispiel Hydrokortison) vermögen der Erkrankung keinen Einhalt zu gebieten. Die Basistherapie erstreckt sich in der Regel zunächst über drei Monate, für die Erstbehandlung hat sich das Schema nach den Guidelines der British Association of Dermatologists (Bunker 2011) bewährt (Tab. 1). Begleitend sollte die Haut für immer zweimal täglich mit fettenden Cremes gepflegt werden. Für die Reinigung der Haut genügen Wasser und nicht entfettende milde Waschlotionen oder Seife ohne Parfümstoffe. Das Therapieergebnis sollte nach drei Monaten kontrolliert werden. Es folgen Kontrollintervalle von zunächst weiteren drei, später gegebenenfalls sechs Monaten.

Tab. 1: Therapie des Lichen sklerosus – Erstbehandlung (Quellenhinweis: nach Bunker 2011)
Präparat: Clobetasolproprionat Creme 0,05 %
Zeitraum der Behandlung Anwendung: abends dünn eincremen
1. bis 4. Woche einmal täglich
5. bis 8. Woche jeden zweiten Tag
9. bis 12. Woche einmal wöchentlich
Kontrolle alle drei bis sechs Monate (auch bei Beschwerdefreiheit)

Ein Rezidiv muss frühzeitig erkannt werden und nach variablem Schema mit Clobetasolproprionat bis zum Abklingen der Beschwerden oder dem Rückgang der Hautveränderungen erneut therapiert werden. Mögliche unerwünschte Nebenwirkungen der Behandlung – wie Atrophie der Haut, Striae, Purpura und periorale Dermatitis – machen die Langzeitanwendung und Rezidivbehandlung mit topischen Kortikoiden manchmal problematisch. Auch gibt es Fälle, in denen die First line-Therapie nicht die gewünschte Wirkung erzielt oder bald nach Beendigung der Therapie ein Rezidiv auftritt.

Reservepräparate: Immunmodulatoren

Für die atopische Dermatitis wurden 2001/2002 für die Behandlung Erwachsener und Kinder ab zwei Jahren als Alternative zur Kortikoidbehandlung immunmodulatorische Topika wie Pimecrolimus (Elidel®, Douglan®) und Tacrolimus (Protopic®) zugelassen (Fisch 2008; Goldstein, Thaci u. Luger 2009), die in systemischer Form bei Organtransplantationen eingesetzt werden. Die Substanzen haben immunsuppressive Wirkung und zählen zu der Gruppe der Kalzineurininhibitoren. Sie blockieren die Freisetzung von Entzündungen induzierenden Zytokinen aus den T-Lymphozyten der Haut; sind also dann besonders wirksam, wenn das lymphozytäre Infiltrat in der Haut besonders ausgeprägt ist, was sicher nur durch eine Hautbiopsie zu diagnostizieren ist.

Auch beim Lichen sklerosus wurden bei Erwachsenen und Kindern in klinischen Studien mit beiden Mitteln gute Erfolge erzielt (Boms et al. 2004, Merkel 2010). Tacrolimus ist als Creme (0,03 Prozent) für Kinder ab zwei Jahren zugelassen (für Erwachsene 0,1 Prozent). Pimecrolimus wird als Creme für Kinder und Erwachsene in gleicher Dosierung verabreicht (0,03 Prozent) (Diamant u. Salgo 2010). Der Therapiezeitraum beträgt drei Monate mit Anwendung der Creme je einmal täglich unter leichtem Einmassieren in die betroffenen Hautareale. Danach muss mit reduzierter Frequenz oft noch weiterbehandelt werden. Die Anwendung auf der Haut verursacht in den ersten Tagen der Therapie häufig Brennen, Juckreiz, Hitzegefühl und Rötung. Pimecrolimus und Tacrolimus haben in Studien für LS eine gute, langanhaltende und sichere Wirkung gezeigt. Sie interagieren nicht mit der Kollagensynthese und haben somit auch keine atrophisierende Hautwirkung (Kunstfeld et al. 2003).

Zur Verunsicherung in der Anwendung der Medikamente haben die Warnungen der Food and Drug Administration (FDA) und European Medicines Agency (EMA) 2005 beigetragen. Wegen einer potenziellen Kanzerogenität bezüglich der Entwicklung von Lymphomen und weißem Hautkrebs der beiden Substanzen in der systemischen Anwendung, wurde die Indikation für beide Mittel eingeschränkt. Sie dürfen als Reservepräparat bei atopischer Dermatitis dann angewendet werden, wenn eine lokale Kortisontherapie nicht vertragen wird oder Kontraindikationen vorliegen. Bis heute konnte für die topische Anwendung von Pimecrolimus und Tacrolimus keine kanzerogene Wirkung nachgewiesen werden, ebenso kein erhöhtes Risiko für Hautinfektionen. Die systemischen Blutspiegel beider Topika sind niedrig und oft unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze.

Fazit für die Praxis

Bei Kindern ist ein Lichen sklerosus ein oft noch unbekanntes, anogenitales Krankheitsbild mit erheblicher Morbidität und verursacht nicht selten großen psychosozialen Stress und eine Einschränkung der Lebensqualität bei Kindern und ihren Eltern. Hauptsymptom ist der chronische Juckreiz. Eine schnelle Diagnose und suffiziente Behandlung mit hochpotenten topischen Kortikoiden ist die Therapie der Wahl und führt zu einer raschen Besserung. Rezidive sind häufig, langfristige oder intermittierende Therapien oft notwendig. Kontrollen sind alle drei bis sechs Monate indiziert. Als Mittel der zweiten Wahl gibt es in Studien gute Erfahrungen mit den Immunmodulatoren Tacrolimus und Pimecrolimus in topischer Form. Beide Substanzen scheinen trotz noch nicht vollkommen ausgeräumter Bedenken bezüglich eines eventuell erhöhten Lymphomrisikos ein vergleichsweise gutes Sicherheitsprofil aufzuweisen. Für die Indikation Lichen sklerosus fehlt jedoch sowohl für Tacrolimus als auch Pimecrolimus die Zulassung, so dass eine entsprechende Therapie einen „off label use“ darstellt und daher stets – besonders bei Kindern – am besten mit Unterschrift dokumentiert genauestens besprochen werden muss. Die Behandlung mit den Immunmodulatoren ist darüber hinaus nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen abrechenbar.

Korrespondenzadresse:

Dr. Ingeborg Voß-Heine
Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe
Schwerpunktpraxis für Kinder- und Jugendgynäkologie
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