Fachwissen

Kongress-Splitter ESPE 1012

Langzeitfolgen kindlichen Übergewichts

von Dr. med. Esther M. Nitsche

aus korasion Nr. 1, Februar 2013

Im September 2012 fand die Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Pädiatrische Endokrinologie (ESPE) statt. Unter dem Motto „Translating science into clinical practice“ wurde eine große Bandbreite endokrinologischer Themen diskutiert. Ein Hauptthema war die kindliche Adipositas – von den anthropologischen Grundlagen bis zu den Spätfolgen.

Genau genommen fängt der ganze Ärger vor ungefähr vier Mrd. Jahren an, als in der Ursuppe neben Nuklein- und Aminosäuren auch die ersten Fettsäuren auftauchten, stellte Professor Dr. med. Michael Stumvoll in einem brillanten Vortrag dar. Er spannte einen eleganten Bogen von dem Erfordernis einer Energiespeicherung, um ein zunehmend größeres Gehirn mit einem hohen Energiebedarf zu unterhalten, einer damit verbundenen Optimierung der Energiezufuhr bis hin zur Entwicklung von Techniken, den Energieverbrauch zu begrenzen. Etwa 40 Prozent der aufgenommenen Energie musste ein Mensch im Mittelalter für die Nahrungsbeschaffung aufwenden. Dieser Anteil ging seitdem dramatisch zurück. Adipositas und ihre Folgeerkrankungen sind heutzutage zwar nicht neu. Kindliche Adipositas aber ist erst in der letzten Zeit zu einem weltweiten Problem überall dort geworden, wo ausreichend Nahrung vorhanden ist, das heißt in allen entwickelten und den meisten Schwellenländern.

Bedenklich: Erhöhte Gesamtmorbidität

Ebenso neu wie beunruhigend waren die in diesem Zusammenhang vorgestellten Daten von Ph.D. Jennifer L. Baker aus Stockholm. Anhand einer großen Kohorte zeigte sie Korrelationen zwischen kindlicher Adipositas und späteren Erkrankungen auf, die nicht nur für den Kinderendokrinologen, sondern auch für Gynäkologen und Internisten relevant sind. Die Ergebnisse verstärken die Sorge um die Gesundheit der Erwachsenen, die als Kinder übergewichtig waren. Schon zuvor wurde gezeigt, dass die Mehrzahl übergewichtiger Kinder als Erwachsene adipös wird, und dass Kinder mit einem BMI oberhalb der 75. Perzentilie als Erwachsene ein signifi kant erhöhtes Risiko haben, kardiovaskuläre Erkrankungen zu entwickeln. Sowohl ein Geburtsgewicht < 2 700 g als auch > 4 200 g korrelieren mit einer erhöhten Gesamtmorbidität, wobei das Risiko bereits oberhalb der 50. Perzentile und nicht erst im Übergewichtsbereich steigt. Jennifer L. Baker zeigte an noch unpublizierten Daten zudem ein signifi kant erniedrigtes Brustkrebsrisiko bei Frauen, deren BMI als Kind niedrig war sowie ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Endometriumkarzinom und hepatozelluläres Karzinom bei Frauen mit einem erhöhten BMI im Alter zwischen sieben und 13 Jahren.

Fazit für die Praxis

Damit gilt - entgegen der „Baker-Hypothese” nicht uneingeschränkt – dass ein größeres Baby die besten Voraussetzungen hat, gesund alt zu werden. Wie erwartet korrelieren viele Erkrankungen des Erwachsenenalters positiv mit kindlicher Adipositas, auch wenn die Ursächlichkeit des Zusammenhangs noch bewiesen werden muss. Neben Herzkreislauf-Erkrankungen ist das erhöhte Malignomrisiko besonders besorgniserregend. Damit gehen die möglichen Folgen einer kindlichen Adipositas sehr viel weiter als bisher angenommen.

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Dr. med. Esther M. Nitsche
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