Fort- und Weiterbildung

Stellenwert gynäkologischer Untersuchungsbefunde zur Verifizierung einer sexuellen Ausbeutung von Mädchen

F. Navratil
Kinder- und Jugendgynäkologische Poliklinik, Universitätskinderklinik,
Zürich, Schweiz

Bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch sollte man immer eine multidisziplinäre/ multiprofessionelle Intervention anstreben. Obwohl ohne Aussagen des Opfers die Beweisführung erschwert, oder sogar unmöglich ist, und man bei der körperlichen Untersuchung nur in wenigen Fällen einen eindeutigen Befund erheben wird, sollte sie dennoch durch eine Fachperson, einfühlsam und zum richtigen Zeitpunkt, je nach Anamnese, durchgeführt werden.

Gründe für die körperliche Untersuchung

  • Als forensische Untersuchung, wichtig für die Beweisführung
  • Diagnose und Behandlung frischer Verletzungen
  • Diagnose und Behandlung von anogenitalen Entzündungen
  • Prophylaxe, Diagnose und Behandlung sexuell übertragbarer Erkrankungen
  • Postcoitale Verhütung, Diagnose einer Schwangerschaft
  • Möglichkeit auf das Vorhandensein anderer Misshandlungsformen (körperlich, psychisch, Vernachlässigung) zu achten
  • Feststellen von Veränderungen, als Folge von sexuellem Missbrauch vor längerer Zeit oder von chronischem Missbrauch
  • Beitragen den geäußerten Verdacht eines sexuellen Missbrauchs zu erhärten oder eventuell erstmalig zu äußern
  • Hilfeleistung an das Opfer bei der Wiederherstellung des Gefühls und der Sicherheit der eigenen körperlichen Normalität und Integrität (Körperselbstbild durch sexuellen Missbrauch erheblich gestört)
  • Festlegung der Notwendigkeit, andere mögliche Opfer (z. B. Geschwister) zu untersuchen
  • Einleitung weiterer diagnostischer, interventioneller und therapeutischer Schritte/Maßnahmen

In den wenigsten Fällen wird man bei der körperlichen Untersuchung Veränderungen finden, die nur durch direktes Trauma hymenal oder anal/perianal (Penetration) erklärt und als eindeutige Folge von sexuellem Missbrauch interpretiert werden können: frischer Hymenaleinriss; Hymenalblutung; Hymenalecchymosis; verheilter Hymenaleinriss; Konkavität bis zur Basis reichend, auch in Knieellbogenposition (kein Gewebe zwischen Vaginalwand und Fossa navicularis oder Vestibulumwand); Fehlen von dorsalem Hymenalgewebe über größere Abschnitte bis zur Basis (auch in der Knieellbogenposition); perianale Einrisse bis tief im M. sphincter ani ext.

Ein Befund bei der körperlichen Untersuchung allein, d.h. ohne Missbrauchsanamnese, ohne spezifische Veränderungen oder zusätzliche spezifische Laborbefunde (z. B. sexuell übertragene Erkrankungen) wird selten den Beweis eines sexuellen Missbrauchs erbringen.

Das Ziel jeder Abklärung eines sexuellen Missbrauchs ist einerseits das Opfer vor weiteren Übergriffen zu schützen, andererseits es auch vor einer Retraumatisierung zu bewahren, die durch hastiges, unprofessionelles Handeln, multiple Befragungen und Untersuchungen entstehen kann und auch dadurch, dass die beteiligten Personen und die Umwelt auf die Gesamtsituation des Opfers oft falsch reagieren.