Fort- und Weiterbildung

Abstracts des Münchener Symposiums für Kinder- und Jugendgynäkologie
Anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Arbeitsgemeinschaft vom 23. bis 25. Oktober 2003, Frauenklinik, Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians-Universität, München

Charlotte Deppe, München

Das Ullrich-Turner-Syndrom aus frauenärztlicher Sicht

Der Gynäkologe wird von Frauen mit dem Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) v.a. wegen der Symptome: fehlende Brustentwicklung, primäre Amenorrhoe, Infertilität und Kleinwuchs aufgesucht. Diese Stigmata zählen zu den häufigsten des UTS. In 50 % der Fälle liegt beim UTS eine 45, XO-Gonosomie vor, in 30 % sind es Mosaikformen (XO/XX, XO/XY) und in 20% strukturelle Chromosomenstörungen auf einem X-Chromosom bei 46,XX-Karyotyp. Dadurch kommt es – individuell verschieden ausgeprägt – im ersten Lebensjahr zur Regression und Atresie der embryonal normal angelegten Primordialfollikel und typischerweise zur Ausbildung von Streak-Gonaden. Eine endogene ovarielle Steroidhormonbildung ist in diesem Fall nicht mehr möglich. Dies bedeutet das Ausbleiben der normalen Pubertät und eines ovariellen Zyklus und somit einer primäre Amenorrhoe. Inneres und äußeres Genitale verbleiben durch die fehlende Hormonwirkung im infantilen Ruhestadium.

Eine Zyklusinduktion durch Gonadotropine oder das Gonadotropin-Releasing-Hormon ist nicht möglich, da die Follikel bereits atretisch und die Gonadotropine auf postklimakterische Werte erhöht sind. Die Ovarialinsuffizienz ist somit irreversibel.

Bei Frauen mit Turner-Mosaik tritt das Vollbild des UTS oft in abgeschwächter Form auf. Die Mosaikformen kommen zumeist als 45,XO/46,XX-Mosaik vor. Hier ist die klinische Symptomatik umso schwächer, je mehr XX-Zelllinien vorliegen. Bis zu 18 % der Frauen haben eine Brustentwicklung ohne Hormonsubstitution, 12 % haben Regelblutungen und in Einzelfällen (< 1%) sind auch Schwangerschaften beschrieben. Mehr als 75% der Frauen mit Turner-Mosaik behalten aber eine Körpergröße unter 152 cm, weshalb hier die rechtzeitige pädiatrische Wachstumshormontherapie notwendig ist. Bei den sehr seltenen 45,XO/46,XY-Mosaiken ist die hohe Entartungsrate der Gonaden (ca. 30 %) zu bedenken, so dass eine laparoskopische Gonadenentfernung schon vor der Pubertät indiziert ist. Phänotypisch kommt bisweilen ein zwittriges Genitale vor.

Eine Pubertätsinduktion sollte bald nach Verschluss der Epiphysenfugen mit natürlichem Estradiol oder Estradiolvalerat erfolgen. Bei initial niedriger Dosis von 0,2mg Estradiolvalerat/Tag wird nach einem halben Jahr die Dosis auf 0,5 mg/Tag gesteigert. Ab dem 2. Behandlungsjahr bzw. ab dem Tanner-Stadium 3 ist eine Vollsubstitution mit einem zyklischen Östrogen/Gestagen-Präparat als Dauertherapie innvoll. Der Beginn der Hormonsubstitution sollte so früh gewählt werden, um eine maximale Knochenmasse (peak-bone-mass) zu erreichen und sollte auch im weiteren Verlauf zusammen mit den üblichen weiteren Maßnahmen als Osteoporoseprophylaxe verabreicht werden. (Der Kleinwuchs wird durch die Gabe von Wachstumshormonen von pädiatrischer Seite therapiert.)

Außerdem kann durch die Hormonsubstitution eine psychosoziale und psychosexuelle Entwicklung der Mädchen zeitgleich mit Altersgenossinnen ermöglicht werden. Kontraindikationen und Risiken gelten analog denen einer Hormonsubstitution bei jungen Frauen z.B. nach Ovarektomie. Sie sind wegen der deutlich niedrigeren Östrogendosen nicht mit denen einer hormonellen Kontrazeption vergleichbar. Gynäkologische Vorsorge und Leberwertkontrolle sollten wie üblich erfolgen. Werden die betroffenen Frauen nicht zusätzlich von einem Internisten behandelt, ist in der Betreuung die erhöhte Rate an arterieller Hypertonie und an Diabetes mellitus zu bedenken.

Die Infertilität der UTS-Frauen ist durch die Ovarialinsuffizienz erklärt. Die Frauen können somit nicht mit eigenen Eizellen schwanger werden. Eine Schwangerschaft durch Fremdeizellspende ist jedoch möglich. Eizellspenden nach Hormonstimulation in Kombination mit einer In-vitro-Fertilisation werden im Ausland (z.B. Großbritannien, Belgien, Italien) durchgeführt, sind in Deutschland aber nach dem Embryonenschutzgesetz (§1, Abs. 1) verboten.

Im Sonogramm im ersten Schwangerschaftstrimenon fällt das UTS typischerweise durch ein breites Nacken-Hygrom auf. Es kommt häufig zu Spontanaborten (bei 45,XO-Zygoten bis zu 93 %). Bei der Betreuung von Mädchen und Frauen mit dem UTS ist eine enge Zusammenarbeit von Pädiatern, Gynäkologen und gegebenenfalls auch Reproduktionsmedizinern und Internisten zu fordern. So können neben der adäquaten Behandlung häufiger internistische Symptome und Fehlbildungen v.a. der Minderwuchs und die Folgen der primären Ovarialinsuffizienz vermieden oder gemildert werden. Eine weitgehend normale Entwicklung kann den Betroffenen damit ermöglicht werden.

Ch. Deppe und S. Anthuber, 
Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, 
Klinikum der Universität München-Groshadern